Rede Stefan Quandt 2015
Rede Stefan Quandt 2015

30 Jahre Medien-Preis: Von der ersten Webdomain zum Silicon Valley

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

erlauben Sie mir, dass ich Sie nun mit auf eine kleine Zeitreise nehme: Wir schreiben das Jahr 1985. Das Jahr, in dem in Erinnerung an Herbert Quandt der Medien-Preis ins Leben gerufen wird. Zum ersten Mal wird die Einsendung von journalistischen Beiträgen erbeten,

„die sich in anspruchsvoller und allgemein verständlicher Weise mit dem Wirken und der Bedeutung von Unternehmern und Unternehmen in der sozialen Marktwirtschaft auseinandersetzen“.

Zeitgleich zur Gründung des Medien-Preises werden in den USA und Europa die technologischen Grundlagen für das Internet und die digitale Kommunikation von heute geschaffen:

  • 1985 wird die erste Domain der Welt registriert. Im Jahr zuvor wird an der Universität Karlsruhe die erste E-Mail aus den USA empfangen. Die Erfindung des World Wide Web durch den Kernphysiker Tim Berners-Lee am Forschungszentrum CERN in Genf im Jahr 1989 und die Entwicklung der ersten Website bildet schließlich die Basis für die allgemeine Nutzung des Internets: Das Internet als weltöffentlicher Raum ist geboren, die erste wirklich weltumspannende Kommunikation nun möglich.
  • Interessant ist, dass die Funktionen des World Wide Web und seine Universalsprache HTML im Herzen Europas erfunden wurden. Diese technologische Erfindung aus Europa hat den Wandel gezeugt, der seither alle Lebensbereiche erfasst hat und die globale Wirtschaft immer stärker verändert. Wie radikal dieser Wandel ist, davon können allen voran Journalisten am Beispiel ihrer eigenen Branche berichten!

Dabei verändert dieser Wandel nicht nur einzelne Branchen, sondern stellt zugleich auch die Ordnung der Wirtschaft und mit ihr auch die Rolle des Unternehmers vor große Herausforderungen.

Epizentrum und zurzeit stärkster Treiber dieses Wandels ist das Silicon Valley mit seiner einzigartigen Gründerkultur. Apple, Google und Co. sind binnen weniger Jahre in den Kreis der weltweit bedeutendsten und kapitalstärksten Unternehmen aufgestiegen, wie man leicht anhand einiger Beispiele und Zahlen sehen kann:

  • Seit seiner Gründung im Jahr 2004 hat es Facebook auf mittlerweile 1,4 Milliarden Nutzer gebracht. Statistisch gesehen sind das knapp 20 Prozent der Weltbevölkerung
  • Apple hat allein mit dem iPhone im vergangenen Jahr mehr Umsatz erwirtschaftet als jeder der 30 DAX-Konzerne mit seinem gesamten Angebot an Produkten und Dienstleistungen!
  • Die 30 wertvollsten Silicon-Valley-Firmen sind mit 2,6 Billionen Dollar an der Börse 2,5-mal so viel wert wie alle DAX-30-Unternehmen zusammen
  • Als letztes Beispiel sei Google genannt: Bei den Suchmaschinen verfügt das Unternehmen in Europa über einen Marktanteil von über 90 Prozent. Und Googles Anteil am weltweiten digitalen Werbemarkt belief sich im vergangenen Jahr auf über 30 Prozent, im mobilen Segment sogar über 40 Prozent (Zahlen eMarketer)

All diese Zahlen führen vor Augen, über welche enorme Wirtschafts- und damit auch finanzielle Schlagkraft die Techgrößen aus dem Silicon Valley verfügen. Sie warden sie zu nutzen wissen, um den digitalen Wandel weiter voranzutreiben und auf immer mehr Branchen und Lebensbereiche auszuweiten.

Auffallend ist, dass viele der Gründergrößen des Valley über ein ausgeprägtes Sendungsbewusstsein verfügen und eine gemeinsame Vision teilen. Ihr Mantra hat Marc Andreessen, der Gründer von Netscape, wie folgt auf den Punkt gebracht:

„Tech has an answer for everything.“

Die neuen und sehr selbstbewussten „Founding Fathers“ aus dem Valley glauben daran, dass mit Entschlossenheit und den richtigen Technologien nahezu alle Missstände und Probleme auf unserem Planeten gelöst werden können.

Ein Beispiel: Facebook hat sich mit der Plattform „Internet.org“ das Ziel gesteckt, seine Dienstleistung kostenfrei in die entlegensten Winkel der Erde zu bringen. Die Rechnung dabei ist einfach: Zugang zu Facebook bedeutet Zugang zu Wissen und somit auch Zugang zu Bildung, Gesundheit und zu sozialer Mobilität. „The more we connect, the better it gets“ lautet denn auch der stolze, aber auch etwas naive Claim von „Internet.org“.

Ganz nebenbei erschließt sich Facebook auf diese Weise einen Milliardenmarkt und baut seine Monopolstellung weiter aus. Erste Studien belegen, dass Facebook von der Bevölkerungsmehrheit in einigen Entwicklungsländern bereits mit dem Internet gleichgesetzt wird.

Dass eine solche Entwicklung für ein Unternehmen des Valley mehr als nur ein Nebeneffekt, nämlich strategische Zielsetzung ist, wird deutlich, wenn man das Buch „Zero to One“ von Peter Thiel, dem PayPal-Gründer und erfolgreichen Investor, zur Hand nimmt. Es trägt den Untertitel „How to Build the Future“. Und das ist nicht ironisch gemeint. Er wirbt dort offen für Monopole: Denn nur die Monopole würden ausreichend Gewinne schaffen, um diese nachfolgend in Lösungen für die großen Probleme unserer Zeit investieren zu können. Unternehmer sollten daher, so der rebellische Rat, „Konkurrenzkampf vermeiden, wo es geht“.

Diese Grundhaltung der erfolgreichen Silicon-Valley-Unternehmer hat der SPIEGEL kürzlich in einem Artikel mit dem Titel „Die Weltregierung“ auf den Punkt gebracht:

„Die Weltveränderer aus dem Valley wollen, dass die Menschheit an ihrer High-Tech-Heilslehre genesen soll. … Sie sind überzeugt, dass ihre Arbeit zum Wohle der Menschheit sein wird, dass sie die Zivilisation in großen Schritten vorwärtsbringen. Doch sie wollen nicht, dass ihnen dabei jemand reinredet.“

Tatsächlich sieht sich jeder, den dieser Bauplan der digitalen Zukunft nicht sofort überzeugt, schnell mit dem Vorwurf konfrontiert, hoffnungslos „analog“ zu sein. Und bisher haben wir die High-Tech-Heilslehren aus dem Valley ja auch mehr oder weniger bereitwillig adaptiert. Oder können Sie sich noch eine Welt ohne Smartphone, Apps und Suchmaschine vorstellen?

In einer Rede zum Thema „Wachstumstreiber Digitalisierung“ hat der EU-Kommissar für digitale Wirtschaft und Gesellschaft, Günther Oettinger, unlängst deutlich gemacht, dass diese Geschäftsmodelle Teil einer Gesamtstrategie sind, die in den USA vom Silicon Valley bis zum White House in Washington reicht. Die USA, so Oettinger, werden …

„… ihre digitale Überlegenheit, die sie in weiten Bereichen haben, einsetzen, um wirtschaftlich wieder dorthin zu kommen, wo [sie] einmal gewesen sind – nämlich weit vorn, mit Wachstum, Beschäftigung und Dominanz“.

An den Erfolgsaussichten für dieses Vorhaben lässt Oettinger keinerlei Zweifel, verfügen die USA derzeit doch über klare Standortvorteile, so z. B. in puncto Demografie und Energieversorgung, aber auch in puncto Finanzkraft und Risikokapital. Europa, so Oettingers Schlussfolgerung, wird gegenüber dieser Herausforderung nur bestehen können, wenn es sich auf seine Einheit besinnt und einen digitalen Binnenmarkt schafft.

Seinen Appell verbindet der EU-Kommissar mit eindringlichen Worten an die Adresse der deutschen Industrie: Sie steckt laut Oettinger in Lebensgefahr, nur wüsste sie dies noch nicht!

Günther Oettinger treibt ein ehrbares Motiv an: Er will die Unternehmen in Europa wach rütteln. Und die Zeit drängt tatsächlich!

Denn wir müssen uns im Klaren sein, dass die digitale Ökonomie wesentlich mehr infrage stellt als tradierte Geschäftsmodelle. Sie rüttelt vielmehr an den Voraussetzungen, die bisher zum Kern der westlichen Wirtschaftsordnung zählten – siehe den von Peter Thiel proklamierten Monopolkapitalismus.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

es gibt jedoch keinen Grund, in Europa die weiße Flagge zu hissen und vor der scheinbaren Übermacht zu kapitulieren. Warum Chancen bestehen, dass vieles auch ganz anders kommt, dafür möchte ich Ihnen einige Gründe nennen.

Wenn man bei den Grundlagen anfängt, muss man zunächst einmal den unbegrenzt positiven Einfluss von Technik auf gesellschaftlichen Wandel hinterfragen. Sicher verändert die heute verfügbare mobile Intelligenz und Kommunikationsmöglichkeit den Alltag und das Verhalten vieler Menschen – und damit auch die Gesellschaft. Aber dass sich Ereignisse wie die „Twitter-Revolution“ im Iran oder die „Facebook- Revolution“ in Ägypten zum Leidwesen der Demonstranten nur als Strohfeuer erwiesen haben, sollte – in diesem konkreten Fall „leider“ – zu Ernüchterung und einer etwas realistischeren Einschätzung des Zusammenspiels von Technik und gesellschaftlichem Wandel beitragen.

Auch die Diskussionen um NSA, BND und den Deutschen Bundestag zeigen, dass eine weltumspannende offene Kommunikation auch ihre Schattenseiten hat. In diesem Zusammenhang darf man sicher konstatieren, dass wir in Europa eine größere Sensibilität für den Bereich Datenschutz haben. Und ich möchte die Behauptung aufstellen, dass sich die Bedürfnisse der Nutzer und Kunden weltweit mindestens auf mittlere Sicht an die europäische Haltung annähern werden. Ich glaube, dass sich daraus für europäische Unternehmen ein besseres Kundenverständnis und ein Vertrauensvorschuss ergeben können – beides Faktoren, die im Wettbewerb erfolgsentscheidend sind.

Aber auch das Modell eines neuen digitalen Monopolkapitalismus, in dem wenigen Unternehmen die Aufgabe gesamtgesellschaftlicher Transformation zugedacht wird, hält einer näheren Prüfung meines Ermessens nicht stand. Denn es ist alles andere als innovationsfördernd und damit auch nicht zukunftsfähig. Ich bin vielmehr fest davon überzeugt, dass die Marktwirtschaft als Gesellschaftsmodell, in dem die gesellschaftlichen Kräfte im Gleichgewicht bleiben und im fairen Wettbewerb der Unternehmen möglichst viele auf direktem Wege von wirtschaftlichem Wachstum profitieren können, als Innovationsmotor langfristig erfolgreicher sein wird. Peter Thiel hat zwar sicher recht, wenn er schreibt, dass Monopolpositionen den Unternehmen hohe Erträge und damit hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung ermöglichen. Aber es ist alles andere als erwiesen, dass Monopolisten ihr Geld effizient einsetzen, Kunden- und Marktbedürfnisse frühzeitig erkennen und ihre Stellung nachhaltig behaupten können.

Das Unternehmen Microsoft ist hierfür ein Kronzeuge. Denn erinnern wir uns: Hatte man nicht vor vielen Jahren in Europa vor der marktbeherrschenden Stellung von Microsoft so viel Angst, dass man einen Kartellrechtsstreit nach dem anderen anstrengte, um dessen Einfluss zu begrenzen? Heute machen sich dagegen viele Beobachter in Anbetracht der Marktveränderungen Sorgen um die Zukunft von Microsoft und sehen es als Fallbeispiel für die fehlende Kundensensibilität und mangelnde Innovationskraft von Monopolisten.

Sehr verehrte Damen und Herren,

könnte es sein, dass wir in einigen Jahren ähnlich auf Firmen wie Google und Facebook schauen werden? Und könnte es sein, dass im nächsten Jahrzehnt junge Wirtschaftsstudenten in Case-Studies rückblickend die strategischen Weichenstellungen analysieren, die in den erfolgsverwöhnten Konzernzentralen nicht rechtzeitig erkannt oder falsch entschieden wurden?

Die Antwort ist: Ja, es könnte so sein!
Warum also, frage ich, sollte es uns in Europa und Deutschland nicht möglich sein, uns mit der erforderlichen Anpassungsfähigkeit auch den Herausforderungen des digitalen Zeitalters zu stellen? Um in einer sich schnell wandelnden Welt dann „da“ zu sein, wenn sich neue Chancen auftun, die wir heute noch gar nicht am Horizont erahnen?

Um aber für das Ergreifen sich bietender Chancen bereit zu sein, dürfen wir als Erstes nicht der Verlockung nachgeben, dem Handlungsdruck mit zusätzlicher Bürokratie und Reglementierung aus dem Weg zu gehen. Europäische Unternehmen können noch so viele Kartellklagen anstrengen bzw. gewinnen – dies wird sie am Ende weder stärker noch konkurrenzfähiger machen. Es wird höchstens dazu führen, dass der Druck zur Veränderung nachlässt.

Wir dürfen also die Digitalisierung nicht als Gespenst an die Wand malen, sondern müssen ihre Chancen im Verbund mit unseren ureigenen Stärken gezielt nutzen. Entscheidend für die Erfolgschancen Europas wird sein, dass wir unsere unternehmerische Basis stärken und dem Sendungsbewusstsein des Silicon Valley mit möglichst viel unternehmerischem Ehrgeiz und Pragmatismus begegnen.

Bei aller Notwendigkeit von Reformen und Veränderung: Deutschland und Europa können auf gemeinsame Werte und Stärken bauen und müssen sich von düsteren Untergangsszenarien ebenso wenig beeindrucken lassen wie von den Verheißungen einer schönen neuen Welt.

Für Deutschland gilt, dass wir die vielen Erfolgsfaktoren, über die unser Land verfügt – von den Ausbildungsstätten und Forschungseinrichtungen über die industrielle Fertigungsbasis bis hin zur Infrastruktur –, konsequent weiterentwickeln und mit den Vorteilen der vernetzten Produktion kombinieren müssen (Stichwort „Industrie 4.0“). Insbesondere ist aber von entscheidender Bedeutung, dass vor allem die Kundenschnittstellen verteidigt werden müssen, über die man derzeit (noch) die Hoheit innehat. Denn Kundenwünsche und Verhaltensmuster werden heute im globalen Maßstab geprägt. Aber nur wer direkt mit seinen Kunden kommuniziert, wird ihre Wünsche verstehen; und nur wer sich konsequent an diesen Wünschen orientiert und für die entsprechenden Bedürfnisse die beste Lösung anbietet, wird letztlich im Wettbewerb bestehen können.

Die kulturelle Vielfalt im „Heimatmarkt Europa“ ist für die hiesigen Unternehmen dabei Herausforderung und Chance zugleich. Aber wenn uns dies in Europa gelingt, dann halten wir – frei nach Frank Sinatras „If you can make it here, you can make it everywhere“ – ein gutes Rezept in den Händen, um die digitale Revolution im Sinne der Gesellschaft und den zukünftigen Standortwettbewerb für Europa positiv zu gestalten!

Sehr verehrte Damen und Herren,

zum Abschluss meiner Rede möchte ich mit gutem Beispiel vorangehen: Ich werde nun meine ohnehin nicht nachhaltige Monopolstellung aufgeben, um im fairen Standortwettbewerb um das Podium Platz zu machen für Innovation und Kreativität. Denn wir kommen nun zum eigentlichen Zweck des Abends, der Verleihung des Herbert Quandt Medien-Preises 2015 an unsere Preisträger. Damit darf ich überleiten zu Ihnen, sehr geehrter Herr Casdorff. Denn Sie haben dankenswerterweise die Aufgabe übernommen, unseren Gästen die diesjährigen Entscheidungen des Kuratoriums der Johanna-Quandt-Stiftung zu erläutern und die Preisträger vorzustellen. Sehr geehrter Herr Casdorff, wir freuen uns auf Ihre Laudatio.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.