Rede Stefan Quandt
Rede Stefan Quandt

Ein Forschungsprojekt zur Familiengeschichte

Meine Damen und Herren,

wir verleihen den Herbert Quandt Medien-Preis alljährlich für herausragende Leistungen im Wirtschaftsjournalismus. Nach 23 Jahren erscheint diese Aufgabe wichtiger denn je, denn wir leben in einer Zeit, in der Wirtschaftsredaktionen gezwungen sind, ihre Ressourcen immer weiter zu beschränken.

Wir leben in einer Zeit, in der zunehmender Wettbewerb die Versuchung groß werden lässt, dem schnellen „Scoop“ den Vorzug vor fundierter Recherche zu geben. In diesem Umfeld prämieren wir Beiträge, die als lobenswerte Beispiele für guten Journalismus dienen können und dienen sollen. Der Herbert Quandt Medien-Preis ist deshalb ein von Journalisten geschätzter und begehrter Preis, wie die Zahl der Bewerbungen und auch der heute anwesenden Medienvertreter zeigt. Und seine Verleihung ist einer der Termine, an dem wir als Familie traditionell gemeinsam teilnehmen, da er im Gedenken an die Persönlichkeit und die unternehmerische Lebensleistung von Herbert Quandt verliehen wird.

Gerade aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle auf ein Medienereignis eingehen, das uns als Unternehmerfamilie im vergangenen Jahr sehr beschäftigt hat. Am 30. September strahlte die ARD eine Fernsehdokumentation aus. Dieser Film setzte sich sehr kritisch mit meinem Großvater Günther und meinem Vater Herbert Quandt auseinander. Beiden wurde vorgeworfen, in den Jahren des „Dritten Reiches“ von Zwangsarbeit profitiert und damit ihr eigentliches Vermögen gemacht zu haben. Uns, den Nachfahren, wurde vorgeworfen, unsere mediale Zurückhaltung sei ein „Schweigen“, ja ein bewusstes „Verschweigen“ der Geschehnisse der Vergangenheit – mit dem einzigen Ziel, ein öffentliches Bekenntnis und Zeichen des Bedauerns zu vermeiden.

Wie Sie wissen, haben wir die Anschuldigungen des Films als Familie sehr ernst genommen. Wir haben ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, das sich mit unserer Geschichte als deutscher Unternehmerfamilie gründlich und objektiv auseinandersetzt. Der Bonner Zeithistoriker Professor Joachim Scholtyseck arbeitet mit seinem Team seit Anfang des Jahres daran, die historischen Fakten zusammenzutragen. Er wird diese Fakten wissenschaftlich beleuchten und Personen wie Ereignisse in ihrem zeitgeschichtlichen Kontext bewerten.

Diese wissenschaftliche Aufarbeitung wird Zeit brauchen. Bis zur Vorlage der Ergebnisse werden voraussichtlich drei Jahre vergehen. Dies ist eine lange Zeit. Für Sie, die Medienöffentlichkeit und besonders für die Menschen, denen Zwangsarbeit und Unterdrückung widerfahren ist.

Aber es ist auch für uns als Familie eine lange Zeit. Denn in dieser Phase wird keine Meinung abschließend als „richtig“ oder „falsch“ bezeichnet werden können. Vor diesem Hintergrund kam im März diesen Jahres im Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung die Frage auf, ob der Herbert Quandt Medien-Preis für drei Jahre ausgesetzt werden sollte, bis Professor Scholtyseck seine Ergebnisse vorgelegt hat. Man kam zu unterschiedlichen Einschätzungen, und im Ergebnis haben drei Mitglieder des Kuratoriums im April diesen Jahres ihr Mandat niedergelegt. Wir respektieren und bedauern diese Entscheidung. Und wir möchten auch an dieser Stelle Frau Fischer, Herrn Müller v. Blumencron und Herrn Keese für die gute Zusammenarbeit und auch in der vorgenannten Frage immer sachliche Diskussion danken. Wir stehen aber als Familie zu der Entscheidung, hier und heute den Herbert Quandt Medien-Preis 2008 zu verleihen.

Bevor ich Ihnen diese Entscheidung näher erläutere, freue ich mich, Ihnen bereits ein neues Mitglied des Kuratoriums vorstellen zu dürfen: Herr Roland Tichy hat sich bereit erklärt, der Johanna-Quandt-Stiftung seinen fachlichen Rat und seine Erfahrungen zur Verfügung zu stellen. Viele von Ihnen kennen Herrn Tichy und lesen die Kommentare aus seiner Feder: Als Chefredakteur der „WirtschaftsWoche“ zählt er zu den profiliertesten deutschen Journalisten. Lieber Herr Tichy, ich freue mich, Sie im Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung begrüßen zu können!

Sehr geehrte Damen und Herren,

die Diskussion im Kuratorium, die erst vor wenigen Wochen stattgefunden hat, hat uns bewegt, heute etwas eingehender zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen als ursprünglich geplant. Eigentlich gebietet der Respekt vor der Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Arbeit und vor der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes, dass erst nach dem Abschluss der Studie Stellung genommen wird.

Jedoch möchten wir uns als betroffene Familie nicht damit abfinden, dass ein einziger kritischer Beitrag für drei Jahre die öffentliche Meinungsbildung dominiert. Erlauben Sie mir daher, die heutige Gelegenheit zu nutzen und einige wenige Anmerkungen zur Sicht der Familie zu machen, wie sie sich auf Basis der uns heute bekannten Fakten und Informationen darstellt. 

Zuallererst ist uns wichtig darauf hinzuweisen, dass es in unserer Familiengeschichte auch viele Fakten gibt, die in dem Film – der uns als Familie wie gesagt ein „Verschweigen der Vergangenheit“ vorwarf – unerwähnt bleiben.

So unterschlägt die Behauptung, das Vermögen der Familie sei in erster Linie auf die Zeit des „Dritten Reiches“ zurückzuführen, fünfzig Jahre erfolgreicher unternehmerischer Tätigkeit meines Urgroßvaters Emil und meines Großvaters Günther Quandt vor dem Jahr 1933.

Und es ist zwar faktisch richtig, dass die zweite Frau meines Großvaters nach der Scheidung im Jahr 1929 zwei Jahre später Joseph Goebbels heiratete, und dass mein Onkel Harald Quandt zeitweise in deren Haushalt aufwuchs. Aber es entsteht nur deshalb der Eindruck einer persönlichen oder gar ideologischen Nähe Günther Quandts zu Joseph Goebbels, weil andere wichtige Informationen mit keinem Wort erwähnt werden: So etwa die Tatsache, dass Günther Quandt im Jahr 1934 vor Gericht Klage gegen Goebbels eingereicht hatte, um das nach dem Scheidungsvertrag bei ihm liegende Sorgerecht für seinen Sohn Harald durchzusetzen. Was dies in dieser Zeit bedeutete, macht die Tatsache deutlich, dass das Gericht die gegen den einflussreichen Minister Goebbels gerichtete Klage nicht annahm, und der im Auftrag meines Großvaters klagende Anwalt von seiner leitenden Position in der Anwaltskammer entfernt wurde.

Dies sind nur zwei Beispiele bekannter historischer Tatsachen, für die man – wie wir meinen – in einer um Ausgewogenheit bemühten Dokumentation Raum hätte finden müssen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

auch wir als Familie kennen natürlich nicht alle historischen Fakten. Aber wir wissen, dass die von der Allmacht des Regimes getragene Propaganda, Brutalität und Unterdrückung das Leben und Handeln, ja das Überleben im „Dritten Reich“ nicht so einfach machte, wie es sich mancher Vertreter meiner – mit der Gnade der späten Geburt gesegneten – Nachkriegsgeneration vorstellt. Nein, es war eine Zeit ohne Meinungs- und Handlungsfreiheit, in der jeder – sei es Arbeiter, Beamter oder Unternehmer – für sich und für seine Angehörigen einen Weg finden musste. Manche, und mit der Zeit auch viele, folgten dem Nationalsozialismus aus Überzeugung. Viele andere gingen jedoch kleine und große Kompromisse ein, oder wurden zu ihnen gezwungen. In einem Klima der Angst und Verunsicherung erging es Günther und Herbert Quandt als Unternehmer nicht anders.

So ist in der Tat historisch erwiesen, dass Fremdarbeiter, Zwangsarbeiter und auch Häftlinge aus Konzentrationslagern in Werken unserer Gesellschaften gearbeitet haben. Und ich sage auch: Wir bedauern als Familie zutiefst die Bedingungen, unter denen diese Menschen fern der Heimat leben, arbeiten und auch leiden mussten. Und unsere Trauer gilt all denen, die das Ende des Krieges nicht mehr erlebt haben.

Es ist menschlich, für dieses Schicksal einen Schuldigen finden zu wollen. Doch in Anbetracht des Systems, das damals herrschte, stellen sich bei dieser Suche nach individueller Verantwortung viele Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind: Fragen nach Freiwilligkeit oder Zwang. Fragen nach dem Folgen aus innerer Überzeugung oder dem Leisten zumutbaren Widerstands. Fragen nach dem wirtschaftlichen Vorteil billiger Arbeitskraft oder der Ineffizienz erzwungener Kriegsproduktion.

Aus allem, was wir als Familie heute wissen, ergibt sich bei der Beantwortung dieser Fragen ein Bild, das uns unter Berücksichtigung der Zwänge dieser Zeit sagen lässt:
Es gibt keinen Grund, am heutigen Tage nicht einen Medien-Preis zu verleihen, der den Namen Herbert Quandts trägt und an sein unternehmerisches Lebenswerk erinnert.

Sehr verehrte Damen und Herren,

bevor ich schließe, noch eine ganz persönliche Anmerkung zu dem möglichen Vorwurf, diese Positionierung der Familie könnte die Unabhängigkeit der historischen Studie gefährden:

In der Öffentlichkeit werde ich mit dem Vorwurf konfrontiert, mein Vater und Großvater hätten sich im „Dritten Reich“ menschenverachtenden Verhaltens schuldig gemacht, hätten damit erst den Grundstein für mein heutiges Vermögen gelegt, und ich hätte dies über Jahre gezielt verschwiegen. Als Vater darf ich Ihnen sagen, dass es mein dringender Wunsch ist, meinen Kindern diese Erfahrung in 10, 20 oder 30 Jahren zu ersparen. Und dieser Wunsch eint mich mit meinen Geschwistern und Cousinen.

Deshalb haben wir als Familie Herrn Professor Scholtyseck gebeten, innerhalb der nächsten drei Jahre alle verfügbaren Fakten auf den Tisch zu bringen und eine Bewertung und Einordnung der Handlungen Emil, Günther und Herbert Quandts vorzunehmen. Dieser objektiven Bewertung werden wir uns als vierte Generation unserer Familie stellen – und zwar unabhängig davon, ob sie unsere heutige Überzeugung stützt oder erschüttert. Wir erwarten nicht, damit einen endgültigen Schlussstrich unter die öffentliche Diskussion ziehen zu können – denn die Diskussion um das „Dritte Reich“ wird in unserem Land sicher nie abgeschlossen sein. Aber die Studie wird eine gesicherte Faktenplattform schaffen, die den Opfern und uns heute – sowie zukünftig unseren Kindern und der Öffentlichkeit – ein gemeinsames und umfassendes Verständnis der tatsächlichen Ereignisse ermöglicht.