Medienpreis



Die Preisträger des Herbert Quandt Medien-Preises 2023 stehen fest: Aus rund 250 Einreichungen hat das Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung vier herausragende Beiträge von Welt am Sonntag, ZDF, brand eins und Die Zeit ausgewählt. Die Johanna-Quandt-Stiftung würdigt damit eine intensive Rechercheleistung, originelle und relevante Themensetzung und die Allgemeinverständlichkeit der Beiträge. Jede Auszeichnung ist mit 12.500 Euro Preisgeld verbunden.
„Die Herren des Lichts“ (Welt am Sonntag)
Marc Neller und Benedikt Fuest werden für ihren Report „Die Herren des Lichts“, erschienen am 15.05.2022 in der Welt am Sonntag, mit dem Herbert Quandt Medien-Preis 2023 ausgezeichnet.
Computerchips sind die wohl wichtigsten Bauteile der Weltwirtschaft. Wir benötigen sie, um unser technisiertes Leben zu organisieren, um elektronische Geräte zu produzieren, um zu kommunizieren. Doch Chips sind knapp, Herstellungskapazitäten und Know-How extrem umkämpft.
In „Die Herren des Lichts“ ergründen Marc Neller und Benedikt Fuest einen Wirtschafts-Sektor von größter geostrategischer Bedeutung. Die USA und China wetteifern um die Vormachtstellung. Und mittendrin ein niederländischer Anlagenbauer mit seinen deutschen Partnern, ohne deren tonnenschwere und hunderte Millionen Euro teure Hightech-„Lichtmaschinen“ fast kein Chip-Fertiger auf der Welt auskommt.
Mit sprachlicher Finesse und detaillierten Erklärungen machen Marc Neller und Benedikt Fuest drei weitgehend unbekannte europäische Hidden-Champions sichtbar, deren einzigartige, seit über zwei Jahrzehnten währende Zusammenarbeit Grundlage für technische Innovation, Wohlstand, aber auch Macht ist. Durch intensive Recherche und gründliche Vorbereitung erhielten die Journalisten Zugang zu einer Industrie, die ihre Betriebsgeheimnisse streng hütet.
„Blackout in Deutschland – Horrorszenario oder reale Gefahr?“ (ZDF/Cartagena Medien)
Erik Hane erhält den Herbert Quandt Medien-Preis 2023 für seine am 01.08.2022 im ZDF ausgestrahlte Dokumentation „Blackout in Deutschland – Horrorszenario oder reale Gefahr?“.
Kann ein Industrieland ausschließlich mit grünem Strom problemlos produzieren? Ist die Netzsicherheit trotz volatiler Systeme wie Sonnen- oder Windenergie gewährleistet, oder droht möglicherweise ein großflächiger Ausfall?
Erik Hane unternimmt in „Blackout in Deutschland“ eine nüchterne Bestandsaufnahme der Chancen und Risiken der angestrebten Energiewende, die einen tiefgreifenden Umbau der deutschen Volkswirtschaft erfordert. Dabei gelingt es Hane, die komplexen wirtschaftlichen, technischen und politischen Zusammenhänge gut nachvollziehbar aufzubereiten und darzustellen.
Seine Dokumentation gerät zu einem Stück Aufklärungsjournalismus, das auf Zuspitzungen verzichtet und stattdessen auf der Basis solide recherchierter, wissenschaftsbasierter Fakten die Zuschauer in die Lage versetzt, sich ihr eigenes Bild zu machen.
„Rostige Aussichten“ (brand eins)
Maximilian Münster wird für seine Reportage „Rostige Aussichten“, veröffentlicht am 22.12.2022 in brand eins, mit dem Herbert Quandt Medien-Preis 2023 geehrt.
Mit dem Krieg in der Ukraine hat sich nicht nur das Leben der Menschen vor Ort dramatisch verändert, auch die Unternehmen sind massiv betroffen. Viele müssen ihre angestammten Produktionsstätten im Osten des Landes verlassen. Die Regierung in Kiew hat hierfür eigens ein Umsiedlungsprogramm aufgelegt.
Maximilian Münster blickt aufmerksam hinter die Kulissen eines Herstellers von Getreideanhängern, der mit viel Improvisationstalent den Wirren des Krieges trotzt und sich weder von Raketenangriffen noch häufigen Stromausfällen entmutigen lässt. Zugleich schildert er die Bemühungen der Ukraine, Hallen und Produktionsanalagen, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ungenutzt waren, wiederzubeleben und der Wirtschaft neue Impulse zu geben. Münster gelingt ein eindringliches Szenario unternehmerischer Resilienz, hinter dem andere Herausforderungen der Transformation, wie wir sie kennen, verblassen.
„Wer isst denn sowas?“ (Die Zeit)
Thilo Adam erhält den Quandt Medien-Preis 2023 für sein Unternehmer-Porträt „Wer isst denn sowas?“, erschienen am 02.03.2022 in der Wochenzeitung Die Zeit.
Adam beschreibt einen Tag im Leben des “Royal-Donuts“-Gründers, Enes Șeker. Dessen Geschäftsidee, industriell gefertigte Teigkringel mit quietschbunten Süßwaren zu garnieren, lässt Teenager landauf, landab Schlange stehen. Allen Gesundheitstrends zum Trotz hat Șeker, unterstützt von seiner Familie, in wenigen Jahren ein kleines Franchise-Imperium aufgebaut.
Thilo Adams Text ist Porträt und Milieustudie zugleich. Mit feiner Ironie, aber nicht ohne Anerkennung, zeichnet Adam sein Bild des außergewöhnlichen Unternehmers aus Aachen. Auf unverkrampfte und unterhaltsame Weise schafft Adam Zugänge zu einem Umfeld, das vielen Menschen unvertraut sein dürfte: grell, plakativ – und dennoch Unternehmertum aus eigenem Recht und in seiner ursprünglichen Form.
Der Herbert Quandt Medien-Preis
Der Herbert Quandt Medien-Preis würdigt seit 1986 Journalisten und Publizisten, die sich in herausragenden Beiträgen mit der Bedeutung und Funktion von Unternehmern und Unternehmen in der Marktwirtschaft auseinandersetzen. Gleichzeitig erinnert der Preis an die unternehmerische Lebensleistung von Herbert Quandt. Ein Porträt des Namensgebers finden Sie auf der Website der Johanna-Quandt-Stiftung.
Die Jury
Dem Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung gehören an: Stefan Quandt (Vorsitzender); Michaela Kolster, Programmgeschäftsführerin PHOENIX (stv. Vorsitzende); Tanit Koch, Journalistin; Horst von Buttlar, Chefredakteur WirtschaftsWoche; Jan-Eric Peters, Journalist.
Die Johanna-Quandt-Stiftung
Die 1995 gegründete Johanna-Quandt-Stiftung setzt sich dafür ein, das Verständnis für die marktwirtschaftliche Ordnung und die Bedeutung des privaten Unternehmertums in der Öffentlichkeit und in den Medien zu fördern.
Kontakt:
Johanna-Quandt-Stiftung
Seedammweg 55
61352 Bad Homburg v. d. Höhe
Telefon: 06172 404-342
E-Mail: info(at)johanna-quandt-stiftung.de
Internet: johanna.quandt-stiftung.de

Die Jury des Herbert Quandt Medien-Preises 2023 hat aus insgesamt 236 Einreichungen 22 Beiträge für die Shortlist ausgewählt. 7 Print-Stücke, 14 Filme und ein Online-Beitrag konnten das Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung überzeugen.
Nominiert sind:
Film
- Hoher Spritpreis: Tricksereien mit russischem Diesel?
NDR Fernsehen - Panorama 3
Nils Naber, Antonius Kempmann
- Wettlauf um die Macht im Weltraum
Hessischer Rundfunk / ARD
Katrin Wegner
- New Work – Die Zukunft der Arbeit
ZDF - WISO
Oliver Koytek, Freya Engels
- Holz trotzt der Krise
NDR - Die Nordreportage
Anja Umland
- Blackout in Deutschland – Horrorszenario oder reale Gefahr?
ZDF - WISO
Erik Hane
- Zukunftsenergie Wasserstoff
WDR - ARD Europamagazin
Michael Grytz, Laura Costan
- Die Recyclinglüge
WDR / Arte
Tom Costelo, Benedict Wermter
Online
- So GEFÄHRLICH ist deine KLARNA-Rechnung WIRKLICH
funk/ZDF - $AFE
Melanie Schoepf
- Unternehmertum in Afrika
brand eins
Paul Hertzberg, Sophia Bogner
- Ein Quantum Prost
SZ Magazin
Patrick Bauer, Roland Schulz
- Die Neuvermessung der Welt
Focus Magazin
Matthias Jauch, Peter Steinkirchner
- Wer soll das bezahlen?
Die Zeit - Dossier
Kerstin Kohlenberg, Mark Schieritz, Wolfgang Uchatius
- Fabriken in Deutschland
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Stefanie Diemand, Stephan Finsterbusch, Benjamin Fischer, Tobias Piller, Ilka Kopplin, Gustav Theile, Philipp Krohn, Franz Nestler,Tillmann Neuscheller
- Dem Sturm ausgeliefert
Die Zeit
Moritz Aisslinger
- Burg der Chinesen
Süddeutsche Zeitung
Saskia Aleythe
- Schaut auf dieses Städtchen
brand eins
Yves Bellinghausen
- Rostige Aussichten
brand eins
Maximilian Münster
- Ein All für Alle
Die Zeit
Robert Gast
- Der unermüdliche Herr Liese
Süddeutsche Zeitung
Björn Finke, Josef Kelnberger
- Wer isst denn sowas?
Die Zeit
Thilo Adam
- Die Herren des Lichts
Welt am Sonntag
Marc Neller, Benedikt Fuest
- Der Fluch der guten Tat
NZZ Folio
Aline Wanner
Wir danken allen, die sich um den diesjährigen Herbert Quandt Medien-Preis beworben haben. Die Preisträgerinnen und Preisträger geben wir im Mai bekannt.
Kontakt:
Daniela Jakob
Assistentin des Vorstands
Johanna-Quandt-Stiftung
Günther-Quandt-Haus
Seedammweg 55
61352 Bad Homburg v.d. Höhe
Telefon: +49 6172 404-342
Telefax: +49 6172 404-420
E-Mail: info(at)johanna-quandt-stiftung.de

Meine Damen und Herren,
ich wünschte, dass unsere Preisverleihung nach zwei Jahren Pandemie heute Abend noch etwas unbeschwerter stattfinden könnte.
Seit fast drei Monaten zwingt uns der brutale Krieg Russlands gegen die Ukraine, die Augen für Wahrheiten zu öffnen, die viele von uns nur aus Geschichtsbüchern kennen.
Wer hätte es für möglich gehalten, dass die Architektur der europäischen Nachkriegsordnung, dass unser „gemeinsames Haus Europa“ einmal wieder so gefährdet sein könnte, und das dauerhaft?
Bereits 2013, so schrieb der verstorbene Außenminister Guido Westerwelle in seinem Buch „Zwischen zwei Leben“ –, hätten ältere Diplomaten die Stabilität einer ganzen Region in der Mitte Europas in Gefahr gesehen. Anfang 2014 kam es dann zur gewaltsamen Niederschlagung der friedlichen Proteste auf dem Kiewer Maidan, wenig später folgte die Annexion der Krim durch Russland.

Der Herbert Quandt Medien-Preis 2022 geht an:
- Michael Schindhelm für seine Dokumentation „Mit Lichtgeschwindigkeit zum Impfstoff – Das Projekt BioNTech“, ausgestrahlt auf ARTE
- Dominic Egizzi und Tom Häussler für ihre Dokumentation „Geld her oder Daten weg! Wie Hacker die Wirtschaft erpressen“, ausgestrahlt auf 3sat/Makro
- Jennifer Wilton für ihre Reportage „Neue deutsche Bäcker oder die Renaissance des Brotes“, erschienen in der Welt am Sonntag
- Conrad Lay für seinen Hörfunk-Beitrag „Grüne Bilanzen – Eine Feature über nachhaltiges Rechnen im Bio-Landbau“, ausgestrahlt in hr2-Feature.
Rund 250 Einreichungen hat die Johanna-Quandt-Stiftung 2022 erhalten. Der Preis ist mit insgesamt 50.000 Euro dotiert.
Wir gratuliert allen Preisträgern ganz herzlich!

20.000 Euro Preisgeld für Michael Schindhelm
Michael Schindhelm erhält den Herbert Quandt Medien-Preis 2022 für seine Dokumentation „Mit Lichtgeschwindigkeit zum Impfstoff“, ausgestrahlt am 30.10.2021 auf ARTE. Die Auszeichnung ist mit einem Preisgeld von 20.000 Euro verbunden.
Von der Erforschung zur serienreifen Vermarktung – dem Forscherteam um die Mainzer Wissenschaftler Uğur Şahin und Özlem Türeci gelingt es in Rekordzeit, einen auf mRNA-Technologie basierenden Impfstoff gegen das Corona-Virus zu entwickeln. Michael Schindhelm erzählt die unglaubliche Erfolgsgeschichte mitreißend und authentisch. Er begleitet die beiden Wissenschaftler und Unternehmer auf ihrer Reise von der Forschung und Entwicklung bis hin zum marktreifen, zugelassenen Produkt. Schindhelm gelingt es, das hochkomplexe Thema mit persönlichen Interviews anschaulich zu gestalten und dem erfolgreichen Forscher-Paar nahezukommen.
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Laudator Horst von Buttlar, Preisträger Michael Schindhelm, Kuratoriumsvorsitzender Stefan Quandt
"Ein Glücksfall für uns alle"
Wenn wir in diesen Tagen auf die Welt und die Wirtschaft schauen, sehen wir vor allem Krise, und nicht nur eine, sondern mehrere Krisen, die sich überlagern und ballen, zu einem Krisenknäuel, so dass man manchmal gar nicht weiß, wo Krisenmanagement aufhört und wo es anfängt. Die Lage ist für viele Unternehmen ein fortwährender Stresstest und wir dürfen gespannt sein, wann wir das Wort Lieferketten mal wieder ohne dieses Adjektiv „angespannt“ benutzen werden. Wenn ich an die vergangenen Jahre denke, an die Zeit seit März 2020, was Unternehmen leisten mussten, wie sie sich neu aufstellen mussten, wie sie gezwungen waren zu Veränderungen, dann kann man das Ganze auf einen Begriff bringen: Anpassungsfähigkeit. Viel Mut, viel Innovation, ein bewundernswerter Aufbau von Resilienz.
Aus all diesen unternehmerischen Entscheidungen und Innovationen ragt aber eine hinaus: Es war die Entscheidung des Unternehmerehepaars Ugur Sahin und Özlem Tureci – der Plan, innerhalb von wenigen Stunden und Tagen alles auf eine Karte zu setzen, zu einem sehr frühen Zeitpunkt, und die Kraft des gesamten Unternehmens auf ein Projekt zu konzentrieren, die Suche nach einem Impfstoff für eine globale Pandemie.
Diese Entscheidung wird einmal in Business Schools gelehrt werden. Es war eine Entscheidung, die als Einzelposten in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung von Deutschland, der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt, sichtbar sein würde.
Wir kennen diese Geschichte, zumindest in groben Zügen, und wir kennen das Ergebnis, den Ausgang. Es ist also eine Kunst, hier noch einmal Mehrwert zu liefern, eine Geschichte zu finden, die näher dran ist und tiefer drin ist. Das ist Michael Schindhelm gelungen. Sein Film macht sich auf die Spuren dieser Entscheidung, er schaut tiefer und genauer hinter die Kulissen – und die Kultur von Biontech.
Zum einen in ausführlichen, sehr authentischen Interviews – und alle Journalisten wissen, wie kurz die Zeit ist, die man mit beiden BioNTtech Gründern verbringen kann, weil sie jede Minute im Labor sein und nicht mit Journalisten reden wollen –, was auch schon wieder eine kluge Entscheidung ist.
Aber die beiden haben Michael Schindhelm Zeit gegeben. Doch nicht nur die Gründer. Eine Stärke des Filmes ist, dass er mit sehr viel mehr Protagonisten spricht, mit Managerinnen und Managern, Forscherinnen und Forschern aus der zweiten und dritten Reihe, mit eher unbekannten Schlüsselfiguren – und auch mit dem Investoren-Zwillingspaar Strüngmann. Die sicherlich ein Glücksfall für das Unternehmen – und uns alle waren.
Und so zeichnet er nochmals ein umfassendes Bild dieses unternehmerischen Glanzstücks. Der Autor hat gesagt, dass er eine Heldengeschichte erzählen wollte, und das ist ihm gelungen – ohne das Ganze zu inszenieren oder zu dick aufzutragen. Der Film ist nicht kitschig oder gar dramatisch, er kommt den Protagonisten einfach noch einmall sehr nahe. Angesichts der Fülle an Portraits und Interviews und Büchern, die geschrieben wurden, ist das eine große Leistung. Im Ergebnis wird man bei jeder Recherche im Archiv zu BioNTtech nicht um diesen Film herumkommen.
Das Interessante ist, dass mit dem Ergebnis dieser Entscheidung das Unternehmen für die kommenden Jahre durchfinanziert ist, um sich der eigentlichen Mission zu widmen: die mRNA-Technologie in der Krebsforschung einzusetzen. Das wird ein längerer Weg, auch mühsamer – man würde sich fast wünschen, dass man auch diesen Weg filmisch über längere Zeit begleitet!
Aber heute geht es nur um das Projekt "Lichtgeschwindigkeit". Selten war sich die Jury so schnell einig, dass dieser Film gesetzt ist, weil er das leistet und einlöst, was das Kernanliegen des Herbert Quandt Medien-Preises ist.
Diese filmische und journalistische Leistung zeichnen wir mit Freude mit dem Herbert Quandt Medien-Preis und 20.000 Euro Preisgeld aus. Herzlichen Glückwunsch an Michel Schindhelm!

10.000 Euro Preisgeld für Dominic Egizzi und Tom Häussler
Das Autorenteam Dominic Egizzi und Tom Häussler wird für seine am 14.12.2021 in 3sat/Makro ausgestrahlte Dokumentation „Geld her oder Daten weg! Wie Hacker die Wirtschaft erpressen“ mit dem Herbert Quandt Medien-Preis 2022 und einem Preisgeld von 10.000 Euro ausgezeichnet.
Der erfolgreiche Angriff mittels Ransomware auf die IT-Infrastruktur großer Firmen bedeutet in der Regel einen Systemausfall mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen. Am Beispiel der Funke Mediengruppe und des Modelabels Marc O’Polo zeichnen Dominic Egizzi und Tom Häussler Cyberangriffe und deren desaströse Auswirkungen nach.
Selbstkritisch hinterfragen die Unternehmen gegenüber den Journalisten ihre bisherigen Schutzmaßnahmen. Ermittler und Experten analysieren die Vorgehensweisen der Hacker. So verdeutlicht die Dokumentation, wie angreifbar unsere digitale Arbeitsweise nicht zuletzt durch den Faktor Mensch ist. Dank der Offenheit der betroffenen Unternehmen gelingt den Autoren ein seltener und umso beeindruckenderer Einblick in das Risikomanagement und die Arbeit von Krisenstäben in Unternehmen.
Im Netz: Geld her oder Daten weg! (zdf.de)
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Laudatorin Tanit Koch, Preisträger Dominic Egizzi, Kuratoriumsvorsitzender Stefan Quandt
"Eine schmerzhafte Lernerfahrung"
Düsseldorf 2020: Eine schwerkranke Frau stirbt, weil der Rettungswagen sie nicht in die Uniklinik, sondern in ein weiter entferntes Spital in Wuppertal bringen muss – die Fahrt dauert eine Stunde länger. Einen Tag zuvor war das größte Krankenhaus der Stadt Opfer eines Hackerangriffs geworden. 30 Server wurden verschlüsselt, die Klinik war zwei Wochen lahmgelegt. Die Spur der Cyber-Erpresser führt nach Russland.
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich Szenarien vorzustellen, wie Attacken auf die kritische Infrastruktur – Kliniken, Energieversorger, Verkehrsnetze – unser Land ins Chaos stürzen könnten. Erst recht, seit Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine auch die Verwundbarkeit unserer Gesellschaft offensichtlich gemacht hat.
24 Milliarden Euro Schaden im Jahr entstehen deutschen Unternehmen durch digitale Lösegelderpressung. In der Summe ist das vergleichbar mit dem Gesundheitsetat im Bundeshaushalt für das Corona-Jahr 2021. In der öffentlichen Wahrnehmung nicht.
Es gibt gut 45 Millionen Erwerbstätige in Deutschland. Das sind ungefähr 45 Millionen Einfallstore für Cyberkriminalität. Und dennoch ist Cybersecurity für viele ganz weit weg. Pin-Codes und Passwörter enthalten noch immer irgendwie das Geburtsdatum – und mancher kommt sich schon gewieft vor, wenn es nicht das eigene, sondern das Geburtsdatum von Kindern oder Ehepartner ist.
Anders als im Straßenverkehr sind unsere Reflexe im Datenverkehr nicht ansatzweise auf Vorsicht getrimmt. Warum? Weil zu wenig darüber geredet wird, wie gefährlich diese Form des Verbrechens tatsächlich ist – für die Unternehmensbilanz, aber mehr noch für uns alle.
Mit ihrem Dokumentarfilm geben die Autoren Dominic Egizzi und Tom Häussler diesem hochrelevanten Thema die Aufmerksamkeit, die sonst fehlt. Sie bringen die Ransomware-Attacken in unseren Alltag. Raus aus den Unternehmen. In die Fußgängerzonen. Wo die Mitarbeiter von Modefilialen plötzlich die digitalen Kassen nicht mehr bedienen können.
Cyberkriminalität wird greifbar, weil die Opfer einen Namen und ein Gesicht erhalten. Mit dem Unternehmen Marco Polo und dem Funke Verlag waren gleich zwei Cyber-Erpressungsopfer bereit, sich vor die Kamera des Teams von Dominic Egizzi und Tom Häussler zu setzen.
Im Film klang es gerade schon an: Die Hürden, sich als Hacker-Opfer zu outen, sind ungemein hoch. Die Sorge in ansonsten hochprofessionell arbeitenden Betrieben ist groß, unprofessionell zu wirken, noch mehr Schaden zu nehmen. Der Vorgang ist unangenehm, peinlich, schambehaftet – und oft auch einfach sehr teuer.
Doch Journalismus ist, genau das zu beleuchten, worüber Menschen nicht so gern sprechen möchten. Und das ist die Leistung der Dokumentarfilmer: Dass zwei Unternehmen sich als Verbrechensopfer einem Massenpublikum vorstellen. Man ahnt, dass das sehr, sehr viel Vertrauen zu denen voraussetzt, die für dieses Publikum berichten. Dieses Vertrauen aufgebaut zu haben ist das Verdienst der Autoren, und genau das ist herausragender Journalismus.
Da ist kein Fingerzeigen, kein Bloßstellen – sondern im Gegenteil die ernsthafte und faire Würdigung unternehmerischen Handelns in einer Krisensituation. Glaubwürdig, ohne eine Sekunde langweilig zu sein.
Im Gegenteil: Die beiden Dokumentarfilmer machen das Dazulernen spannend – sogar visuell. Die Täter sind zwar unsichtbar, und blockierte Server und Daten sind, sagen wir mal, nicht so richtig bildstark.
Doch die Autoren nehmen uns mit auf Razzien, wir schauen einem "guten" Hacker über die Schulter (Donald Ortmann – er ist heute hier, ich hoffe, die Hotel-IT ist vorgewarnt), und vor allem überträgt sich die Fassungslosigkeit und die Wut der Protagonisten 1:1 auf die Zuschauer.
Wer hätte gedacht, dass Cyber-Erpresser sogar so dreist sind, einen Weihnachtsrabatt anzubieten?
Und schließlich, was uns auch bei der Kuratoriumssitzung sehr bewegt hat: Dominic Egizzi und Tom Häussler lenken den Scheinwerfer nicht nur auf das unternehmerische Drama, sondern auch auf die Sternstunden der Belegschaft.
Marc O'Polo-Mitarbeiter, die in Windeseile Rechnungsblöcke im Schreibwarenladen kaufen, sich mit Kulis bewaffnen und auf analog umstellen. Die Verlagsangestellten bei Funke, die trotz Daten-Blindflug ihre Zeitung herausbringen – in Notproduktion, aber sie erscheint.
Hat der auf 3sat ausgestrahlte Dokumentarfilm “Geld her oder Daten weg” also den Mehrwert, von dem Tom Häussler gerade sprach? Den hat er absolut. Und glücklicherweise ist er noch in der Mediathek und kann weiter dazu beitragen, dass weniger Unternehmen diese so schmerzhafte Lernerfahrung machen.
Dieser Mehrwert, vor allem aber die bemerkenswerte journalistische Leistung ist uns den Herbert Quandt Medien-Preis wert – dotiert mit 10.000 Euro.
Unser herzlicher Glückwunsch an:
Dominic Egizzi und Thomas Häussler.

10.000 Euro Preisgeld für Jennifer Wilton
Jennifer Wilton erhält den Herbert Quandt Medien-Preis für ihre Reportage „Neue deutsche Bäcker oder die Renaissance des Brotes“, erschienen am 07.11.2021 in der Welt am Sonntag. Der Beitrag wird mit 10.000 Euro ausgezeichnet.
Vier unterschiedliche Biografien: die Studentin, die im Studium nicht ihre Erfüllung findet, der Promi-Bäcker, der manchmal eben doch mehr will, als nur Brot zu backen, der Bio-Bäcker, der sich im richtigen Moment gegen Wachstum entscheidet, und ein Mann mit Zuwanderungsgeschichte, für den die Kunst des Backens eine neue Heimat bedeutet. Alle vier verbindet die Liebe zu der alten Handwerkskunst, „reines Brot“ zu backen.
Jennifer Wiltons Reportage lässt eine Vielzahl von Bildern im Kopf entstehen. Sie macht ihre Leserinnen und Leser mit außergewöhnlichen Protagonisten bekannt, die ihre ganz eigene Geschichte mit dem Backhandwerk haben und ihren Beruf auf authentisch-sympathische Art leben.
Im Netz: Neue deutsche Bäcker (welt.de)
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Laudatorin Michaela Kolster, Preisträgerin Jennifer Wilton, Kuratoriumsvorsitzender Stefan Quandt
"Das pure Glück"
Deutsches Brot – ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber ich habe da gleich Kopfkino – von einer guten Kruste und dem weichen Inneren – vom Duft ganz zu schweigen. Es ist etwas Besonderes das Deutsche Brot – es ist sogar immaterielles Weltkulturerbe der Unesco.
Deutsches Brot verbinde ich immer besonders mit meiner Tante. Meine Tante ging Mitte der 50er Jahre als Aupair-Mädchen nach Frankreich, sie lernte dort ihren späteren türkischen Mann kennen, mit dem sie zuerst nach Istanbul ging, um drei Jahre später mit ihm nach Toronto auszuwandern. Nach sieben Jahren war es meinem Onkel da schlicht zu kalt und so zog man – mittlerweile zu dritt – weiter nach Kalifornien, wo heute alle noch leben.
64 Jahre ist meine Tante also nun im Ausland, und sie ist das gerne, käme nicht auf den Gedanken zurückzukehren. Aber trotz dieser vielen Jahre ist ihr immer eine Sehnsucht geblieben: die nach echtem Deutschem Brot. Das hat sie nie losgelassen und wenn sie dann tatsächlich mal so richtiges Deutsches Brot bekommt – dann hat sie diesen Gesichtsausdruck – wie soll ich den beschreiben?
Aus ihrem Gesicht spricht dann das pure Glück.
Brot löst also Sehnsüchte aus – aber es ist ja noch viel mehr als nur ein Nahrungsmittel, es hat auch schon mal den Weltenlauf verändert. Brot ist Lebensgrundlage im ursprünglichsten Sinne und kein Brot, heißt Hunger und kann erhebliche politische Folgen haben, kann Revolutionen oder gar Kriege auslösen. Die Französische Revolution ist da so ein Beispiel oder um den Bogen zu heute zu schlagen: Der Krieg gegen die Ukraine und damit gegen die Kornkammer der Welt, hat massive Auswirkungen auf die Preise und die Versorgung der Menschen mit dem wichtigsten Grundnahrungsmittel. Keine Bagatelle also – Brot steht für das Leben an sich.
Jennifer Wilton hat sich aufgemacht, einen zarten Trend zu erkunden. Denn es gibt wieder mehr Bäckereien – so echte Bäckereien – sie meint nicht die Supermarktketten, die industriell vorgefertigte Teige in den Ofen schieben. Sie meint die Bäcker, die nicht anders können als einfach nur gutes Brot zu backen.
Vier Bäcker*innen hat Jennifer Wilton aufgesucht – quer verteilt in der Republik – in der Stadt und auf dem Land, und alle haben eins gemein: Ihr Weg verlief alles andere als gradlinig. Einer wusste zwar schon mit acht, dass er nur eins will: Brot backen, das hat anfangs geklappt und dann wieder nicht – und dann wieder doch und, wie es heute so läuft, weiß man nicht so ganz. Ein anderer kommt aus der Türkei und entdeckt seine Leidenschaft für die deutsche Bäckertradition, obwohl er mit Fladenbrot aufgewachsen ist. Eine andere hat eigentlich BWL studiert, um dann festzustellen, dass sie etwas mit den Händen machen muss, und nun steht sie täglich mit ihrem Mann in der Backstube und ist glücklich. Ein anderer zieht in ein Dorf im nördlichen Brandenburg, macht dort eine Backstube auf, um dann sein Brot aber doch nach Berlin zu fahren.
Diese vier Portraits erzählen von einer Leidenschaft, die zum Unternehmertum führt, nicht immer ist es eine Erfolgsgeschichte, aber die meisten sind es schon. Jennifer Wilton erzählt aber auch davon, dass Erfolg manchmal überfordern kann, weil man die große Nachfrage dann schlicht nicht schafft. Denn diese neuen Bäcker haben vor allem deshalb Erfolg, weil sich immer mehr Menschen ein wirklich gutes Brot wünschen mit natürlichen Zutaten, ohne Chemie und Zusatzstoffe, und so stehen die Kunden mit viel Geduld in langen Schlangen vor diesen kleinen Läden.
Jennifer Wilton ist es mit ihren Portraits gelungen, uns diese kleine Pflanze – diesen kleinen Trend der neuen Bäckereien und ihre sympathischen Macher näherzubringen. Man liest sie gerne, diese Geschichten, die uns die Irrungen und Wirrungen, die Sorgen und Nöte, aber vor allem die Leidenschaft des Unternehmertums verdeutlichen. Und wir lernen im Kleinen vom großen Ganzen.
Wir alle in der Jury waren uns einig: Das ist preiswürdig! Und so gratulieren wir sehr herzlich Jennifer Wilton.

10.000 Euro Preisgeld für Conrad Lay
Conrad Lay wird für seinen Hörfunkbeitrag „Grüne Bilanzen – Ein Feature über nachhaltiges Rechnen im Bio-Landbau“, ausgestrahlt am 21.04.2021 in hr2-Feature, mit dem Herbert Quandt Medien-Preis 2022 und einem Preisgeld von 10.000 Euro ausgezeichnet.
Tierwohl, Biodiversität, Bodenfruchtbarkeit – ökologische Landwirtschaft zu betreiben ist aufwendig, und nicht immer können höhere Kosten auf den Verkaufspreis umgelegt werden. Würden die Leistungen des Bio-Landbaus wie Boden- und Gewässerschutz in die Bilanz miteinbezogen und im Umkehrschluss die im konventionellen Bereich entstandenen Umweltschäden eingerechnet, wären - so eine These des Beitrags - konventionelle Produkte für die Allgemeinheit bereits heute teurer als biologisch erzeugte Lebensmittel.
Doch nachhaltiges Wirtschaften findet bisher fast keine Berücksichtigung in den Bilanzen. Conrad Lay macht sich auf den Weg und erklärt seinen Hörerinnen und Hörern mit plastischen O-Tönen, warum ein Umdenken bei der Bilanzierung der landwirtschaftlichen Lebensmittelproduktion angezeigt ist und warum Umwelt und Natur davon profitieren können.
Im Netz: Grüne Bilanzen (hr2.de)
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Laudator Jan-Eric Peters, Preisträger Conrad Lay, Kuratoriumsvorsitzender Stefan Quandt
"Aus der Nische ins Zentrum des Interesses"
"Das Ohr will sich ein Bild machen." So beschreibt Conrad Lay, seine Arbeitsweise. Ein wunderbarer Satz, für den allein er fast schon einen Preis verdient hätte.
Er bringt jedenfalls sehr plastisch auf den Punkt, was auch die Jury an Conrad Lays Beitrag beeindruckt hat: Es gelingt ihm, ein sehr wichtiges, aber doch auch ziemlich sprödes und komplexes Thema mit seiner Erzählweise, mit seinen O-Tönen und Geräuschen, mit vielen Beispielen und Gesprächspartnern zum Leben zu erwecken und so aufzubereiten, dass man auch 50 Minuten und 49 Sekunden lang gebannt zuhört und versteht, worum es beim "nachhaltigen Rechnen" geht, und weshalb es so wichtig ist.
Europa soll, das haben die 27 Mitgliedstaaten der EU beschlossen, der erste klimaneutrale Kontinent werden. Auch mit Hilfe eines nachhaltigen Finanzwesens. Aber wie soll dieser "Green Deal" in der Praxis überhaupt funktionieren?
Conrad Lay spannt den Bogen von den großen politischen Ansprüchen in Brüssel zur unternehmerischen Praxis auf dem Hofgut Breitwiesen bei Ühlingen-Birkendorf im äußersten Südwesten Deutschlands, einem Pionierbetrieb des "green accounting". Er macht – auch anhand anderer Beispiele – deutlich, wie sich Ökonomie und Ökologie versöhnen, wie sich Faktoren wie Bodenfruchtbarkeit, Biodiversität und Tierwohl sinn- und wirkungsvoll in das traditionelle Rechnungswesen einbeziehen lassen. Denn bislang findet nachhaltiges Wirtschaften fast keine Berücksichtigung in Unternehmensbilanzen.
Nachhaltige Landwirtschaft ist sehr aufwändig, und nicht immer können die höheren Kosten dafür auf den Verkaufspreis umgelegt werden. Würde man aber die Leistungen des Öko-Landbaus wie Boden- und Gewässerschutz mit in die Bilanz einbeziehen und andererseits die in der konventionellen Landwirtschaft für die Allgemeinheit entstehenden Umweltschäden einrechnen, dann wären – das ist eine nachvollziehbare These des Beitrags – konventionelle Produkte für die Verbraucher längst teurer als Bio-Produkte.
"Als ich vor zwei Jahren begonnen habe, an dem Thema zu recherchieren", sagt Conrad Lay in unserem Film, "war ich mir nicht sicher, ob das nicht vielleicht so ein bisschen ein Außenseiterthema ist." Heute können wir mit Sicherheit sagen, dass das Thema aus der ökologischen Nische mitten ins Zentrum des Interesses gerückt ist. Nicht nur bei den großen Playern am Kapitalmarkt, sondern auch hier beim Herbert Quandt Medien-Preis.
Lieber Herr Lay, wir zeichnen den Beitrag "Grüne Bilanzen – Ein Feature über nachhaltiges Rechnen im Bio-Landbau" mit dem Herbert Quandt Medien-Preis 2022 aus. Übrigens der erste Hörfunkbeitrag sei 2011, der es hier ganz nach oben geschafft hat!
Der Herbert Quandt Medien-Preis würdigt seit 1986 jährlich Journalisten und Publizisten aller Medien, die sich in anspruchsvoller und allgemeinverständlicher Weise mit dem Wirken und der Bedeutung von Unternehmern und Unternehmen in der Marktwirtschaft auseinandersetzten. Der Medien-Preis wird im Gedenken an die Persönlichkeit und das Lebenswerk des Unternehmers Dr. h.c. Herbert Quandt verliehen und mit insgesamt 50.000 Euro dotiert.

Dr. h.c. Herbert Quandt (1910-1982)
Herbert Quandt wurde am 22. Juni 1910 als zweiter Sohn des Unternehmers und Industriellen Günther Quandt (1881-1954) und seiner Frau Antonie (geb. Ewald; 1884-1918) in der brandenburgischen Stadt Pritzwalk geboren.
Nach dem frühen Tod der Mutter zog Herbert mit seinem Vater Günther und dem älteren Bruder Hellmut nach Berlin, wo er infolge einer schweren und nicht heilbaren Augenerkrankung Privatunterricht und Ausbildung durch Hauslehrer erhielt. Sein Vater plante daher, ihm eine berufliche Zukunft in der Verwaltung des familieneigenen landwirtschaftlichen Gutes in Mecklenburg zu eröffnen. Nachdem sein älterer Bruder Hellmut jedoch 1927 im Alter von nur 19 Jahren den Komplikationen einer Blinddarmentzündung erlag, wurde Herbert Quandt von Günther Quandt auf eine industrielle Verantwortung und Nachfolge in der Unternehmensgruppe vorbereitet.
Mit Beginn der dreißiger Jahre sammelte Herbert Quandt im Rahmen von Praktika und zahlreichen Auslandsaufenthalten Erfahrungen sowie technische und kaufmännische Kenntnisse, vor allem in der Entwicklung und Produktion von Akkumulatoren. Ende der dreißiger Jahre wurden ihm zunehmend Führungsaufgaben in der Quandt-Gruppe, insbesondere bei dem Batteriehersteller Pertrix, übertragen. Zwar stand Herbert Quandt während der Zeit des Nationalsozialismus immer noch im Schatten seines Vaters. Er trug aber als Direktor der Batteriefabriken Pertrix und AFA Oberschöneweide Verantwortung für den Personalbereich, der sich auch mit dem Einsatz und den Arbeitsbedingungen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern befasste.
Die Bedingungen der Zwangsarbeit, aber auch das politische Verhalten seines Vaters Günther Quandt in der NS-Zeit, wurden im Oktober 2007 in der TV-Dokumentation „Das Schweigen der Quandts“ thematisiert. Die Ausstrahlung dieser Dokumentation sowie deren Echo in der Öffentlichkeit gaben den Anstoß für eine umfassende Aufklärung und Gesamtdarstellung der Familiengeschichte.
Im Dezember 2007 bat die Familie Quandt, deren seinerzeit größte Beteiligungen BMW und ALTANA sich als Gründungsmitglieder in der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft schon im Jahr 2000 für einen materiellen Ausgleich für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt hatten, den Zeithistoriker Prof. Joachim Scholtyseck (Universität Bonn) um eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung der Familiengeschichte. Das dreijährige, tiefgreifende Forschungsprojekt reichte von den unternehmerischen Anfängen in der Kaiserzeit des 19. Jahrhunderts über die beiden Weltkriege bis zum Tode Günther Quandts im Jahr 1954 und wurde 2011 unter dem Titel „Der Aufstieg der Quandts“ veröffentlicht.[1]
Scholtyseck verdeutlicht darin, dass Herbert Quandt durch seine Führungsaufgaben in der Quandt-Gruppe über Art, Umfang und Bedingungen der Zwangsarbeit sowie auch über sog. „Arisierungen“ von Unternehmen informiert gewesen sein muss.[2] Die Mitgliedschaft in der NSDAP und anderen NS-Organisationen erleichterten es ihm zudem, während des Krieges in Deutschland als Unternehmer tätig zu bleiben.
Scholtyseck erwähnt in seiner Studie aber auch, dass Herbert Quandt „Mitarbeiter in seinen Wirkungskreis berief, die zuvor schon mit dem Regime in politische Konflikte geraten waren“.[3] Da es „weder (…) zeitgenössische Hinweise auf eine grundlegende Distanz zum Regime, noch (…) Indizien für eine besondere Nähe“ gebe, kommt der Historiker zu der Beurteilung, dass „Herbert Quandt zu den vielen Mitläufern gehört habe“.[4]
Das Schweigen über die NS-Zeit und ihr großes Unrecht wurde nach dem Krieg von Herbert Quandt nicht durchbrochen. Scholtyseck verweist auf den Versuch einer Erklärung durch den Philosophen Herrmann Lübbe: Dieser habe im kollektiven „kommunikativen Beschweigen“ eine Voraussetzung dafür gesehen, dass sehr viele, die dem NS-Regime gedient oder sich zumindest mit ihm arrangiert hatten, nach dem Krieg wieder auf einen Weg des Rechts und der Moral zurückfanden und sich engagiert und mit unternehmerischer Zuversicht in den neuen demokratischen Staat einbrachten.[5]
So war auch das Wirken Herbert Quandts in der jungen Bundesrepublik, in der er selbstbestimmt seinen eigenen Überzeugungen folgen konnte, gekennzeichnet von seinem engagierten Bekenntnis zur neuen sozialen Marktwirtschaft und verantwortungsvollem Unternehmertum. Nach seiner Auffassung sollte der Unternehmer in der Gesellschaft als Mensch wahrgenommen werden, dessen Tun und Handeln über den ökonomischen Nutzen hinaus einen wichtigen sozialen Beitrag leistet. Dabei fand neben der Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Unternehmenserfolg auch die Ausbildung junger Menschen das besondere Augenmerk Herbert Quandts: Für seine Verdienste um die Reformierung des betrieblichen Ausbildungswesens erhielt er im November 1956 die Ehrendoktorwürde der Universität Mainz.
Auch durch eine besondere unternehmerische Leistung reifte Herbert Quandt zu einer der prägenden und visionären Persönlichkeiten der bundesdeutschen Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte: So bewies er Wagemut und Weitblick, als er 1960 die Aktienmehrheit an der Bayerischen Motorenwerke AG übernahm und das Unternehmen damit vor der Übernahme durch die Daimler-Benz AG bewahrte. Mit seinem großen persönlichen Einsatz, der mit dem enormen Risiko des finanziellen Totalverlusts verbunden war, sicherte Herbert Quandt die Unabhängigkeit von BMW und führte das Unternehmen damit in den folgenden Jahrzehnten zurück auf die Erfolgsspur.
Herbert Quandt vertrat zugleich die Überzeugung, dass Wirtschaft den Menschen als Lebens- und Chancenraum erklärt und nahegebracht werden muss. Neben ihrer Bedeutung als kritische Vermittler und unabhängige Beobachter sah Herbert Quandt hierin die wichtigste Aufgabe der Medien.
[1] Vgl. Joachim Scholtyseck, Der Aufstieg der Quandts. Eine deutsche Unternehmerdynastie, München 2011
[2] Vgl. ebd., S. 765 f.
[3] Vgl. ebd., S. 767
[4] Vgl. ebd., S. 767
[5] Vgl. ebd., S. 768
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