Medien-Preis 2014
"TTIP ist die logische Konsequenz aus EU und NAFTA"
Sehr verehrte Damen und Herren,
das Jahr 2014 wird geprägt von der Erinnerung an einen der größten Wendepunkte der Geschichte. Was mit Beginn des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 über Europa und die Welt hereinbrach, war kurz zuvor angesichts des technischen Fortschritts und der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung in Europa noch als ein Ding der Unmöglichkeit erschienen. Mehr ...
Auszeichnungen für Berliner Zeitung, ARD, Die Zeit und Capital
Aus 267 Einsendungen hat das Kuratorium der Johanna-Quandt-Stiftung die Preisträger des Herbert Quandt Medien-Preises 2014 ausgewählt. Vier Preise in den Kategorien Print und Fernsehen werden vergeben, die mit insgesamt 50.000 Euro dotiert sind:
Jonas Rest erhält den Herbert Quandt Medien-Preis für seinen Artikel „Die Klon-Krieger“, erschienen im März 2013 in der „Berliner Zeitung“, dotiert mit einem Preisgeld in Höhe von 15.000 Euro. Julia Klüssendorf und Stefan Jäger werden für ihren Dokumentarfilm „Banken außer Kontrolle“, erstmals ausgestrahlt im Juli 2013 in der ARD, ebenfalls mit dem Herbert Quandt Medien-Preis in Höhe von 15.000 Euro geehrt.
Zwei weitere Medien-Preise werden vergeben an Anne Kunze für ihre Reportage „Fünf Tonnen am Tag“, erschienen in der „Zeit“ im Dezember 2013 sowie an Christian Salewski und Sabine Muscat für ihren gemeinsamen Beitrag „Es könnte so einfach sein“, erschienen in der Augustausgabe des Wirtschaftsmagazins „Capital“. Beide Gewinnerbeiträge werden mit einem Preisgeld in Höhe von je 10.000 Euro ausgezeichnet.
- Roland Tichy, Jonas Rest, Stefan Quandt
Jonas Rest erhält den Herbert Quandt Medien-Preis für seinen Artikel „Die Klon-Krieger“, erschienen im März 2013 in der „Berliner Zeitung“, dotiert mit einem Preisgeld in Höhe von 15.000 Euro.
Zum Beitrag "Die Klon-Krieger"
- Laudator Roland Tichy
Da passiert ja ein gesellschaftlicher Umbruch. Berlin ist nach wie vor – empirisch gesehen – die Hauptstadt von Hartz IV. In keiner Stadt leben absolut und relativ so viele Empfänger von staatlichen Subventionsleistungen wie in dieser Stadt. Und gerade in den – wenn Sie so wollen – Ruinen des Sozialismus entsteht plötzlich ein neues Unternehmertum. Denn es ist ein neues Unternehmertum. Und es ist natürlich wie neues Unternehmertum meistens ziemlich grob und rüde.
Drei Brüder erobern mit dem Internet die Welt. Sie liefern sich mit dem Giganten Amazon einen Kampf um die Weltherrschaft des Onlinehandels. Wenn die Samwers eine Idee gefunden haben, kopieren sie diese weltweit. Und die drei Brüder sind nicht unbedingt Sympathieträger, sie gelten als gnadenlose Kopierer.
Allerdings ist die Beschreibung genau dieses Verfahrens das Verdienst des Autors der ausgezeichneten Geschichte. Er schildert das Geschäftsmodell der Brüder, das hocheffizient ist und wesentlich dazu beiträgt, Berlin aus seiner wirtschaftlichen Lethargie herauszubewegen. Denn der Erfolg von Rocket Internet misst sich nicht nur in Marktanteilen von Berlin bis Simbabwe, es bringt immer wieder Kapital nach Berlin für die vielen Start-ups. Nach wie vor ist Kapital in diesem reichen Land der Engpassfaktor.
Damit haben die Samwers den Kern einer neuen Wirtschaftsgesellschaft in Berlin gegründet. Und Internet-Know-how lässt sich eben nicht einsperren. Know-how lässt sich überhaupt nicht einsperren. Es vermehrt sich, es klont sich selbst, es erneuert und verbreitet sich. Und ich glaube, was wir lange am Silicon Valley bewundert haben, nämlich, dass, wenn du da eine Firma gründen willst, du einfach wahnsinnig viele Leute kriegst, die das jeweilige Know-how für dich mitbringen, sei es im Bereich Marketing, Finanzierung oder Technik. Dann wird deutlich, was dort dabei ist, sich zu organisieren, nämlich eine neue Szene.
Die innovativen Leistungen eines scheinbar nicht innovativen Unternehmens hat der Autor wunderbar herausgearbeitet. Wie organisiert man einen Versandhandel, wenn es DHL eben nicht gibt? Wie organisiert man einen Bezahldienst, wenn es keine flächendeckend operierende Bank oder bezahlte Infrastruktur gibt? Innovation – das ist, glaube ich, für uns Deutsche auch noch mal ganz wichtig – ist keine technische Kategorie, keine Frage von Schweißnähten allein und von Minimalabweichungen bei der Stahlbearbeitung. Wir brauchen innovative Geschäftsmodelle, Vorgehensweisen, Strategien und so weiter. Davon haben die Samwers jede Menge zu bieten. Das sollte man studieren und nachmachen, was hier auch geschieht. Der Maßstab ist der Erfolg.
Jonas Rest vermeidet die übliche Vorverurteilung. Er nähert sich einem Phänomen – das hat die Jury überzeugt –, schaut hinter die Fassade, geht dem Geschäftsmodell auf den Grund. In Berlin hat seine Geschichte Reaktionen ausgelöst. In der Tat hat sich Rocket Internet geöffnet. Das ist auch ein Erfolg von Jonas Rest, denn bei allem Verständnis für persönliche Eigenschaften und Verschrobenheiten und Geheimnistuerei, die Gesellschaft hat schon ein Recht darauf, zu wissen, wer da vor unseren Augen gerade die Welt aus den Angeln hebt und wie und warum.
Gratulieren Sie mit mir Jonas Rest!
- Jonas Rest
Sehr geehrte Familie Quandt, sehr geehrte Jury, sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für diese großartige Auszeichnung, die – ehrlich gesagt – wirklich überraschend kam, denn die Geschichte hat – und das ist ja auch in meinem Film deutlich geworden – eigentlich ein gewaltiges Manko, nämlich dass ich die eigentlichen Protagonisten, die Samwer-Brüder, überhaupt nicht treffen konnte. Wenn man ehrlich ist, ist es, glaube ich, nicht oft so, dass solche Geschichten ausgezeichnet werden. Auch wir in der Redaktion haben am Anfang lange überlegt, ob man eine Geschichte überhaupt so angehen kann, weil ja gerade solche Reportagen und Texte vom Zugang zu den Hauptakteuren leben.
Ich wäre gerne mit Oliver Samwer durch die Welt gejettet, von einem Internetklon zum anderen, aber das ging ja leider nicht. Umso mehr freut es mich, dass die Geschichte trotzdem ausgezeichnet worden ist, weil ich denke, dass es auch ein Ansporn dafür ist, Mittel und Wege zu finden, Geschichten über Unternehmen trotzdem zu machen, auch wenn diese Unternehmen gerade nicht daran interessiert sind, dass so über sie berichtet wird, wie sie vielleicht jetzt sind, kurz vor einem Börsengang.
Das ist natürlich trivial, es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit zu sehen, was Journalismus ausmacht. Gleichzeitig glaube ich aber, dass es wichtig ist, zu sagen, dass auf der einen Seite die PR-Abteilungen immer größer, auf der anderen Seite die Redaktionen immer kleiner und somit die Produktionsbedingungen für solche Geschichten immer schwieriger werden. Deshalb hat mich diese Auszeichnung so sehr gefreut und ganz besonders, dass es für diese Geschichte war.
Ich will mich vor diesem Hintergrund auch noch einmal besonders bei meinen Kolleginnen und Kollegen der Berliner Zeitung bedanken, die es mir überhaupt erst ermöglicht haben, diese Geschichte zu machen. Wie gesagt denke ich, dass es gerade für Tageszeitungen finanziell immer schwieriger wird, solche zeitintensiven Recherchen, zeitintensiven Geschichten, zu rechtfertigen. Und ich glaube, dass vor diesem Hintergrund der Preis auch ein Ansporn dafür ist, sich im Alltag trotzdem immer wieder die Freiräume genau dafür zu erkämpfen.
Vor diesem Hintergrund ist so ein Preis heute wichtiger denn je. Noch mal vielen Dank dafür.
- Laudator Roland Tichy, Stefan Jäger, Stefan Quandt, Julia Klüssendorf
Julia Klüssendorf und Stefan Jäger erhalten den Herbert Quandt Medien-Preis, dotiert mit einem Preisgeld in Höhe von 15.000 Euro, für ihren Dokumentarfilm „Banken außer Kontrolle“, erstmals ausgestrahlt im Juli 2013 in der ARD.
- Laudator Roland Tichy
Ich glaube, der Schlüsselsatz ist: Das haben wir ja noch nie gehört.
Julia Klüssendorf und Stefan Jäger ist es gelungen, viele hochkarätige Akteure vor die Kamera zu bitten. Man muss hier sagen, der zeitliche Abstand erleichtert die Wahrheitsfindung und Einsichtsfähigkeit. Wir beginnen erst jetzt, die Finanzkrise wirklich zu verstehen. Ich muss ganz ehrlich sagen: In dem Film habe ich doch noch was dazugelernt.
Er ist keine blinde Anklage, er zeigt keine Schufte, sondern Handelnde. Und wer handelt, sucht neue Wege, und Fehler sind unausweichlich, manchmal sogar notwendige Teilstrecken auf dem Weg des Erkenntnisgewinns.
Sie haben Klischees vermieden und das ist uns ja immer sehr wichtig beim Medien-Preis: nicht nur einfach zu wiederholen, sondern etwas Neues zu entdecken. Journalismus als Entdeckungsverfahren ist ja etwas in Verruf geraten. Klischees zu vermeiden heißt auch, nicht von Spekulanten zu reden. Es taucht ja gerade in Deutschland mit dem Begriff eine dumpfe Konnotation auf, die die meisten übersehen.
Die Offenheit der Autoren wiederum hat die Befragten zu offenen Antworten veranlasst. Die Journalisten haben die bequeme, überlegene Haltung des Chefanklägers aufgegeben und zugehört. Zuhören ist die Voraussetzung für Verstehen und Verstehen die Voraussetzung für Vermitteln.
So ist ein vielschichtiger Film entstanden, den die Jury gerne auszeichnet und der vielleicht sogar das Zeug dazu hat, einer der Schlusspunkte dieser Geschichte zu sein. Wobei, das darf nicht sein, es kann alles nur vorläufig sein, die Geschichte geht ja weiter. Das macht den Journalismus übrigens auch so erfolgreich, auch in Zeiten des Internets. Es geht immer weiter.
Ich darf Julia Klüssendorf und Stefan Jäger auf die Bühne bitten, um die Preise entgegenzunehmen.
- Julia Klüssendorf, Stefan Jäger
Klüssendorf:
Sehr geehrte Familie Quandt, liebe Jury, liebe Kollegen und liebes Festpublikum, nachdem Herr Appelhans uns die freudige Mitteilung am Telefon machte, waren wir vor Überraschung erst mal sprachlos. Wer uns kennt, weiß: Das bedeutet etwas! Und danach haben wir vor Glück laut „hurra“ geschrien.
Jäger:
Ja, das war nicht nur ein Freudenschrei, sondern auch ein Schrei der Erleichterung. Tatsächlich, Mensch, wir habens geschafft, nicht nur so viele Zuschauer vor den Fernseher zu locken, sondern da gibt es sogar Fachleute, die dieses ach so oberflächliche Medium nutzen und die Qualität deiner/unserer Arbeit anerkennen.
Klüssendorf:
Ein Gefühl der Erleichterung, denn der Weg dahin war durchaus nicht einfach. Wenn wir Kollegen, Freunden, ja selbst Interviewpartnern während der Produktion von unserem Vorhaben erzählten, hieß es häufig: „Ein Film über die Finanzkrise? Die ganze Finanzkrise? Wer soll denn das gucken? Da ist doch jeder froh, der sich damit nicht mehr beschäftigen muss, oder?“
Auch wir zweifelten zwischendurch, ob es uns gelingen würde, nicht nur diesem hochkomplexen Thema gerecht zu werden, sondern dieses auch noch bildlich ansprechend und massenkompatibel umzusetzen.
Jäger:
Als wir dann z.B. mit Jürgen Fitschen, dem Chef der Deutschen Bank, über unser Vorhaben sprachen, zog er genüsslich eine Augenbraue hoch: „Eine umfassende Analyse der Finanzkrise in 45 Minuten? Na, dann wünsche ich Ihnen beiden mal viel Glück.“ Das war die erste Reaktion sämtlicher Politiker und Finanzfachleute, denen wir von unserem Vorhaben erzählten. Doch häufig schloss sich auch ein weiterer Satz an: „Ich bin sehr gespannt, das habe ich bisher noch nicht gesehen, das schaue ich mir an.“
Nach langem Abwägen war Herr Fitschen schließlich bereit, einen solchen Film nicht nur anzuschauen, sondern als Interviewpartner daran mitzuwirken, so wie ein Dutzend weiterer Banker, Politiker und Analysten, die uns schließlich Rede und Antwort standen. Während der Interviews hat es uns häufig selbst erstaunt, wie selbstkritisch Bankenchefs und Finanzminister ihren eigenen Anteil an der Krise einschätzen.
Klüssendorf:
Und tatsächlich hatten wir das Gefühl, dass fast alle Beteiligten das Bedürfnis hatten, über ihre Erfahrungen, ihre Zweifel und Ängste im Verlauf der Krise zu sprechen. Dafür mussten sie uns natürlich vertrauen können, weshalb die Vorgespräche sehr viel Zeit und auch Einfühlungsvermögen in Anspruch nahmen. Schließlich entstand eine persönliche Nähe, die den Zuschauer mitfühlen lässt und so ein Verstehen überhaupt erst möglich macht.
Uns war es wichtig, keine holzschnittartigen Feindbilder zu zeichnen, denn in der Realität haben die Protagonisten in ihrer jeweils eigenen Welt normal gehandelt. Es gibt allerdings – das zeigt die Analyse – unterschiedliche Vorstellungen von Moral.
Ein Banker tut alles, was ihm die Politik nicht ausdrücklich verbietet. Politikern hingegen fehlt – das mussten wir sehen – das tiefe Verständnis der Wirkungsmechanismen der Finanzmärkte. Dass Hedgefondsmanager und Politiker offenbar in zwei Parallelwelten agieren, lässt uns ratlos in die Zukunft blicken. Die Hintergründe der globalen Ratlosigkeit sind durch unseren Film hoffentlich ein wenig verständlicher geworden.
Jäger:
Ja, und was jetzt, was tun gegen diese globale Ratlosigkeit? Wir möchten den Ball gerne an Sie, liebes Festpublikum, zurückspielen, an die Zuschauer. Der beste Schutz gegen die Folgen einer immer möglichen neuen Finanzkrise ist nun mal eine interessierte und informierte Öffentlichkeit.
Okay, Banken, Börse, Geld, das ist für die meisten schwer verdauliche Kost, eine Menge dicker Bretter. Aber wir beide helfen Ihnen gerne beim Bohren. Fordern Sie es ein!
Klüssendorf:
Wir freuen uns wahnsinnig über diesen großen Preis. Das ist eine wirklich große Anerkennung. Ganz herzlichen Dank. Herzlichen Dank, liebe Familie Quandt, liebe Jury.
Unser Dank geht natürlich auch an unsere Redakteurinnen Sabine Mieder und Esther Schapira, die das Projekt mit Enthusiasmus, Wochenendarbeit und vielen Ideen vorangetrieben haben.
Jäger:
Dann möchten wir uns auch noch beim Chefredakteur des Hessischen Rundfunks, Alois Theisen, ja, und auch bei Ihnen, Herr Reitze, bedanken, dass Sie uns die Chance gegeben haben.
Tina Soliman und Torsten Lapp, auch euch sei gedankt für den Porträtfilm, durch den ich noch ganz neue Seiten an mir erfahren habe.
Klüssendorf:
Danke schön.
Anne Kunze erhält einen mit 10.000 Euro dotierten Herbert Quandt Medien-Preis für ihre Reportage „Fünf Tonnen am Tag“, erschienen in der „Zeit“ im Dezember 2013.
Zum Beitrag "Fünf Tonnen am Tag".
- Laudator Roland Tichy
Was der Jury an Anne Kunzes Beitrag so gefällt, ist der Blick ins Alltägliche. Wir freuen uns über den Luxus, dass Schweres automatisch ins Haus kommt, und zwar ganz bis unters Dach.
Aber es kommt nicht automatisch, es muss ja jemand schleppen. Es darf vor allen Dingen nichts kosten oder jedenfalls fast nichts, sehr wenig. Und Anne Kunze zeigt, wie dieser Blick in die Abgründe eines Arbeitsmarktes vonstattengeht, die sich neu eröffnen. Wir nehmen das Internet so wahr: Ein ganz leichter Klick oder Touch – und schon bist du woanders. Aber es ist auch ein Touch, der den Blick in einen Abgrund eröffnet.
Was uns besonders gut gefallen hat, ist, dass sie uns selbst, uns allen den Spiegel vorhält. Packen wir auch einmal mit an, nicht nur beim Paketboten, sondern überall, wo wir sind, oder sind wir nur der Konsument, der auf seine Rechte pocht bis zur Lieferung an die Türschwelle? Sind wir wirklich alle stets freundlich und hilfsbereit, auch zu den modernen Arbeitnehmern eines Internets, das noch nicht die Vorzüge hat, wie sie die Industrie für ihre Arbeitnehmer weitgehend durchgesetzt hat?
Denn wir haben ja eine gespaltene Gesellschaft von sehr gut regulierten, bezahlten und abgesicherten Arbeitnehmern in den eher klassischen Bereichen und Arbeitnehmern in den neuen Bereichen, die allerdings von diesem Jubel über das Neue nicht so viel haben.
Lassen wir auch mal einen Euro springen für die unscheinbaren Geister der virtuellen Welt an unserer Haustür, die sich materialisiert in Form eines Menschen und eines Pakets? Machen wir das wirklich? Ist der Preis alles? Also, wie gehen wir damit um? Sind wir nur für billig oder sind wir auch für rücksichtsvoll?
Und deshalb danken wir Anne Kunze, die heute leider nicht bei uns sein kann. Das ist ja auch eine dieser Ambivalenzen der modernen Welt, der sie sich selbst stellen muss. Wir kritisieren ja viele dieser Errungenschaften, aber 6.000 Kilometer fliegen, das machen wir schon gerne.
Also, wie gehen wir mit diesen Ambivalenzen um, dass wir das so gerne konsumieren, was wir am Sonntag kritisieren? Sie kann nicht bei uns sein, aber in der modernen Welt kann man ja Raum und Zeit so leicht überbrücken und man muss dabei nicht mal schwer tragen.
- Anne Kunze
Ich freue mich riesig über diesen Preis. Ich bin Ihnen unendlich dankbar. Und es ist mir total unangenehm, dass ich heute Abend nicht bei Ihnen sein kann.
Aber mein Lebensgefährte ist für einige Monate in Princeton, und wir haben schon – bevor ich überhaupt daran gedacht habe, dass ich diesen Preis überhaupt jemals bekommen könnte – eine Reise gebucht in die USA.
Zusammen sind wir nur zwei Wochen in vielen, vielen, vielen Monaten. Deswegen bin ich jetzt mit dem Herzen in den USA, aber in Gedanken bin ich bei Ihnen.
- Roland Tichy, Sabine Muscat, Christian Salewski, Stefan Quandt
Christian Salewski und Sabine Muscat erhalten für ihren gemeinsamen Beitrag „Es könnte so einfach sein“, erschienen in der Augustausgabe des Wirtschaftsmagazins „Capital“, einen mit 10.000 Euro dotierten Herbert Quandt Medien-Preis.
Zum Beitrag "Es könnte so einfach sein".
- Laudator Roland Tichy
„Was ist des Deutschen Wappentier?“ könnte man fragen in Abwandlung eines nicht mehr so gerne gehörten vaterländischen Liedes von Ernst Moritz Arndt. Es ist natürlich das Chlorhühnchen, das uns da aus dem Spiegel entgegenschaut. Das Chlorhuhn ist längst ein Überlegenheitsmerkmal für europäische Esskultur und Verbraucherschutz.
Was da alles dranhängt an so einem kleinen Hühnchen! Irgendwie ist dabei untergegangen, dass in Deutschland zwar das Hühnchen nicht gechlort werden darf, aber der Salat, den Sie zum Hühnchen essen, der darf mit Chlor gesäubert sein. In den USA ist es übrigens umgekehrt. Und es ist ja, wenn man genauer hinschaut, in der Tat komisch: Die anderen sind genauso seltsam wie wir, eben nur andersrum, weswegen die Amerikaner auf französischen Rohmilchkäse verzichten müssen, was ja auch wirklich eine arge Strafe ist für antimarktwirtschaftliches Verhalten, finde ich.
Sabine Muscat und Christian Salewski – und das hat die Jury überzeugt – sind all solchen Klischees aus dem Weg gegangen. Nur einem Klischee nicht: Der Kerl macht das Auto, die Frau das Essen. Und ein bisschen Geschichte darf ja auch noch sein. Ich meine, das mit den Autos und den Nahrungsmitteln hat uns ja niemand anderes eingebrockt als das Tandem Konrad Adenauer und Lyndon B. Johnson. Der eine, weil er die Hühnchen aus Amerika verboten hat, und der andere, weil er die Pick-ups deswegen mit einer zehnfachen Strafsteuer belegt hat.
Und da sieht man, wie lange sich so etwas doch halten kann. Aber ich glaube, man kann die Debatte gar nicht reduzieren auf wirtschaftliche Vorteile. Wir machen manchmal einen Fehler in unseren Debatten. Wir reden dann über Wohlstand, aber wenn man so wie Deutschland wahrscheinlich eine der wohlhabendsten Gesellschaften der Welt ist, was interessiert einen da noch eine geringfügige Steigerung oder Senkung der Steakpreise im Grill Royal?
Will Ferguson hat darauf hingewiesen, dass Freihandel auch mit Demokratie und Schutz vor Terror zu tun hat. Er hat nachgewiesen, dass in den Zwanzigern, in der Zeit der damaligen Wirtschaftsnöte, der große Freihandel, wie er vor 1914 bestand, zersplittert wurde. Nach seiner Analyse waren es zwei Länder, die praktisch aus sich heraus freihändlerisch waren: die USA wegen ihrer Größe und das britische Empire. Beide haben sich von der Krise der Wirtschaft am schnellsten erholt.
Andere Länder, die sich eingemauert haben, z.B. Italien und Deutschland, die ohne Freihandel eigentlich abgeschnitten waren von Exporten und notwendigen Importen, haben dann letztlich Raubzüge unternommen. Der Freihandel ist mehr als nur weniger Geld fürs Fleisch, sondern eben auch ein Stück Freiheit. Ich glaube, dafür sollten wir noch mehr kämpfen und die Begriffe in Verbindung bringen: Freihandel und Freiheit gehören zusammen.
Dafür gratulieren wir den Preisträgern; ich freue mich, dass auch Capital solche Geschichten wieder ermöglicht, und darf daher Herrn Salewski und Frau Muscat zur Preisverleihung auf die Bühne bitten.
- Sabine Muscat, Christian Salewski
Sabine Muscat
Vielen, vielen Dank, das ist eine große Ehre für uns. Danke, Herr Quandt, danke, Herr Tichy, und unser größter Dank geht natürlich an Sie, sehr geehrte Frau Quandt, und an Ihre Stiftung, die journalistische Projekte würdigt, die über die aktuelle Berichterstattung hinausgehen und die versuchen, dem Leser komplexe Themen näherzubringen. Die Quandt-Stiftung hat dafür keinen Aufwand gescheut.
Wie Sie gesehen haben, wurde sogar in Washington gefilmt. Dafür bedanke ich mich vor allen Dingen bei Tina Soliman und Sonia Kennebeck und auch bei Torsten Lapp, dass sie diesen charmanten Film über uns gedreht haben.
Nach mehr als sechs Jahren als Korrespondentin in Washington weiß ich: Manchmal muss man viel weiter ausholen, als es das Tagesgeschäft erlaubt, um ein Land zu verstehen und dem Leser verständlich zu machen. Wer in den USA immer nur die nächsten News jagt, die nächste Schuldenkrise, die nächste Schulschießerei, der bleibt oft am Klischee hängen. Aber oft fehlen eben auch die Ressourcen und die Geduld, um hinter die Kulissen zu schauen.
Für mich ist dieser Preis ein Anlass, auf meine eigene transatlantische Reise zurückzublicken. Wenn mir vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, dass ich, die Asienreporterin, heute in Washington leben würde und nicht etwa in Peking, dann hätte ich wohl laut gelacht. Aber jetzt sind die USA mein zweites Zuhause, auch nach dem Tod der Financial Times Deutschland, für die Christian und ich gearbeitet haben. Und Sie haben ja in dem Film gesehen, dass mich die Überwindung transatlantischer Hindernisse heute mehr als nur aus beruflichen Gründen interessiert. Auch die Redaktion von Capital will Grenzen überwinden und arbeitet nach dem Motto: Wirtschaft geht jeden etwas an und ist mehr als trockene Ökonomie.
Unsere parallelen Geschichten zeigen, welche Rolle abstrakte Themen wie der globale Handel in unserem Alltag spielen. Capital-Chefredakteur Horst von Buttlar – auch er übrigens ein Quandt-Preisträger – hat sich auch deshalb gleich für unsere Geschichte begeistert. Horst und der Truppe von Capital, die heute durch den Herausgeber Andreas Petzold vertreten sind, wollen wir deswegen auch dafür danken, dass dieses Projekt möglich wurde.
Wir danken auch dem Fotografen und den Layoutern natürlich, die für die schöne optische Aufbereitung gesorgt haben. Ich freue mich heute besonders, dass meine Freundin Eva-Maria Magel mit Familie hier ist. Wir kennen uns noch aus dem gemeinsamen Volontariat bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Es ist besonders schön, dass meine Eltern hier sein können, die bestimmt begeistert waren, ihren Enkel vorhin im Film zu sehen.
Also, es hat großen Spaß gemacht und es war ein schönes Beispiel transatlantischer Teamarbeit. Christian und ich hatten uns auf der jeweils anderen Seite des Ozeans mit dem Thema Freihandel beschäftigt, bis wir dann zusammenkamen, indem wir beide der Capital-Redaktion so eine Geschichte vorschlugen. Er das Auto, ich das Fleisch. Und als das Konzept dann stand, da spielten wir uns die Bälle zu – per E-Mail, per Telefon und dann auch beim Kaffeetrinken am Dupont Circle, denn Christian konnte für seinen Teil der Geschichte zwischen beiden Seiten des Atlantiks hin- und herspringen. Und wie es dazu kam, das wird er gleich noch mal selbst erzählen.
Vielen Dank.
Christian Salewski:
Ja, auch von mir noch ein paar Worte. Liebe Familie Quandt, werter Herr Tichy, meine sehr geehrten Damen und Herren,
kurz nachdem Herr Dr. Appelhans mich vor einiger Zeit anrief und mir mitteilte, dass Sabine und ich den Herbert Quandt Medien-Preis zuerkannt bekommen haben, setzte ich mich hin und schrieb eine freudige Mail an Horst von Buttlar, den Chefredakteur von Capital, der vor einigen Jahren schon selbst diese tolle Auszeichnung entgegennehmen durfte.
Horst antwortete rasch. Er schrieb: „suuuuuuuuper!“, mit acht U, „Glückwunsch. Ich bin dann leider in den USA, aber das ist eine tolle Preisverleihung. Und es gibt Kohle.“ Horst hat recht. Es ist wirklich eine beeindruckende Verleihung, und ich freue mich außerordentlich, hier heute gemeinsam mit Sabine ausgezeichnet zu werden. Ganz herzlichen Dank an das Kuratorium und natürlich an die Familie Quandt.
Damit zu Horsts zweitem Punkt, der Kohle. Darüber redet man ja eigentlich nicht so gerne in so feierlichem Rahmen. Erlauben Sie mir dennoch, einige Sätze dazu zu sagen. Sie alle wissen, dass das klassische Geschäftsmodell des Journalismus in einer tiefen Krise steckt. In dem schönen Film, für den ich mich auch noch mal herzlich bedanken möchte, war vom Ende der FTD die Rede. Das war sicherlich für mich ganz persönlich ein einschneidendes Ereignis, aber es markiert doch auch eine Zäsur im deutschen Journalismus.
Seitdem ist es eine reale Möglichkeit, dass Zeitungen und Zeitschriften einfach sterben, auch überregionale. Wer als Journalist regelmäßig die Mediendienste verfolgt, muss heute schon fast masochistisch veranlagt sein. Dort geht es inzwischen fast nur noch um Sparrunden, Kündigungen, Insolvenzen. Das ist eine Entwicklung, die eher früher als später auch auf die Qualität der Berichterstattung durchschlagen wird.
Das alles ist natürlich nicht so schön, wenn man als Journalist noch ein paar Jahrzehnte für und von diesem Beruf leben möchte. Aber die Digitalisierung bietet Journalisten auch riesige Chancen. Sehr überspitzt gesagt: Wer braucht schon Verlage, wer Fernsehsender, wenn die Produktionsmittel in ein iPad passen und das Publikum nur einen Klick entfernt ist?
Der Herbert Quandt Medien-Preis wird auch dafür vergeben, (Zitat) „[…] das Verständnis für die Bedeutung des privaten Unternehmertums zu fördern“. Ich persönlich glaube inzwischen, dass die Journalisten meiner Generation selbst zu Unternehmern werden müssen. Zumindest wenn wir noch über den Tod des letzten Printabonnenten hinaus Journalisten sein wollen. Wir, die Journalisten, müssen in dieser Zeit des radikalen Wandels Experimente anstoßen, und wir, die Journalisten, müssen die Geschäftsmodelle entwickeln, um aufwendigen Journalismus auch im Digitalen zu finanzieren. Kurzum, wir, die Journalisten, müssen die Kohle selbst auftreiben.
Gemeinsamen mit drei Kollegen – das war im Film schon angedeutet – habe ich deswegen ein kleines Start-up gegründet. Wir nennen unser journalistisches Experiment, und mehr soll es auch zunächst nicht sein, „Follow the Money“. Das beschreibt zum einen ein grundlegendes Rechercheprinzip. Folge der Spur des Geldes. Es beschreibt aber auch die Suche nach alternativen Finanzierungsquellen für innovativen, multimedialen Wirtschaftsjournalismus. Wir finanzieren uns nicht nur durch Honorare und Lizenzen, wir nutzen Crowdfunding, wir besorgen Stipendien, wir erhalten Förderung von Stiftungen. Alles, um, wie bei der Golf-Verfolgung, globale Wertschöpfungsketten einem breiten Publikum verständlich zu machen.
An dieser Stelle möchte ich mich übrigens ausdrücklich bei den IJP, den Internationalen Journalisten-Programmen, bedanken, die mich im vergangenen Jahr als Holbrooke Journalist in Residence Fellow für zwei Monate nach Washington geschickt haben. Ohne dieses Stipendium wäre mein Teil an dem Freihandelspaket, das im Capital erschienen ist, so nicht zu recherchieren gewesen. Die Autoverfolgung über den Atlantik ist daher quasi die erste „Follow the Money“-Recherche. Auch mein Anteil an dem sehr großzügigen Preisgeld wird in die Aufbauarbeit von „Follow the Money“ fließen. Insofern noch einmal, auch im Namen meiner Kollegen, ganz herzlichen Dank für diese großartige Auszeichnung.
Ach, und sollte unter Ihnen noch jemand sein, der den dringenden Wunsch verspürt, in die Entwicklung von innovativem Wirtschaftsjournalismus zu investieren, Sie finden uns unter www.followthemoney.de.
Vielen Dank.