Rede Stefan Quandt 2023
Rede Stefan Quandt 2023

"Klimapolitik braucht Vertrauen in die Menschen, die Unternehmer und die Kraft der freien Marktwirtschaft"

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit ihren Beiträgen über die gegenseitigen Abhängigkeiten von Innovation und Geopolitik, Energiewende und Standortsicherung, Krieg und Unternehmertum sowie nicht zuletzt Gaumenfreuden und Cheat-Days, spannen die prämierten Beiträge heute wieder einmal einen weiten Bogen an Themen, auf die Sie sich freuen dürfen. Und ich glaube, Sie werden dabei auch Neues lernen, obwohl Sie sich mit manchen Themen sicher schon lange beschäftigen. So hat die Aufmerksamkeit für den Klimaschutz und für Fragen der Ökologie in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Es gibt einen großen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass der Klimawandel ein Faktum ist. Und die allermeisten Menschen teilen die Einschätzung der Wissenschaft, dass sich die Erdtemperatur in den letzten Jahren durch das Verbrennen fossiler Energieträger Schritt für Schritt erhöht hat und weiter erhöhen wird.

So übereinstimmend die Betrachtung des Problems, so unterschiedlich werden die Lösungsvorschläge und Instrumente der Politik derzeit wahrgenommen. Der Berliner Soziologe Steffen Mau hat kürzlich drauf hingewiesen, dass es bei der Klimadiskussion im Kern um die Geschwindigkeit und Tiefe eines gesellschaftlichen Wandels gehe: Den einen gehe es zu schnell, sie sind „veränderungserschöpft“. Den anderen geht es nicht schnell genug, sie sind der festen Überzeugung, dass unsere Zeit abläuft. Und auf beiden Seiten des Konfliktes stehen, so Professor Mau, sog. „Polarisierungs­unternehmer“, die die gesellschaftliche Verunsicherung zur Lagerbildung im eigenen Sinne nutzen wollen.

Polarisierungsunternehmer gibt es in der Politik, in der Wirtschaft, in der Kultur, aber auch bei den Medien. Doch extreme Positionen, wie etwa der Alarmismus der „Letzten Generation“ oder auch die verharmlosende Rhetorik von Klimawandel-Skeptikern, sind schlecht und der Klima­kommunikation nicht angemessen. Interessengeleitete Begrifflichkeiten fördern fatalerweise das Nichtstun, sei es entweder aus Resignation oder aus trotziger Verweigerungshaltung.

Dabei wollen viele Menschen ja etwas tun. Sie machen sich Gedanken über die Zukunft, verändern Lebensgewohnheiten und denken um: Beispielsweise hat sich die Zahl der Anschlussanfragen für Solaranlagen in Deutschland im letzten Jahr verdoppelt! Und auch die Nachfrage nach der Elektro-Mobilität scheint in Schwung zu kommen. Aber ich habe trotzdem den Eindruck, dass wir gerade Gefahr laufen, viele Menschen, die guten Willens sind, zu überfordern, zu frustrieren, oder gar zu „verlieren“ - denn parallel zu dem vorgenannten Boom bei Solaranlagen sind, wie Sie alle wissen, auch die Bestellungen für Öl- und Gasheizungen explodiert.

Aber es gibt dafür eine Erklärung: Den PV-Anlagen liegen freie Entscheidungen aus Überzeugung zugrunde, während man mit der kurzfristigen Erneuerung einer fossilen Heizung einer erzwungenen staatlichen Weichenstellung aus dem Weg geht, von der man eben gerade nicht überzeugt ist.

Die Menschen im Lande verstehen sicher nicht jeden Zwischenschritt auf dem von der Politik eingeschlagenen Weg zu einer Welt aus grüner Stromproduktion und CO2-freien Verbrauchern.  Aber sie haben ein Gespür dafür, ob eine Rechnung unter dem Strich aufgeht. Und wenn man Zweifel an einem positiven Endergebnis hat, dann verlieren naturgemäß auch alle vorangehenden Einzelmaßnahmen an Glaubwürdigkeit.

Mit ihren Zweifeln sind die Bürger in guter Gesellschaft. Denn in Teilen der Wirtschaft spricht man in Bezug auf die Energiepolitik der Regierung mittlerweile von „Des Kaisers neuen Kleidern“: Jeder weiß, dass es nicht funktionieren kann; aber keiner traut sich, es offen zu auszusprechen.

Dies obwohl die – um im Bild zu bleiben – „nackten“ Tatsachen eigentlich nicht schwer zu sehen sind. Denn ungeachtet der Komplexität des Gesamtsystems „Energie­versorgung" genügt ein Blick auf die Ein- und Ausgangsgrößen. Fangen wir vom Ende her denkend mit dem Bedarf an.

Allein die Digitalisierung zieht immer mehr Strom: Instagram und WhatsApp, das Streamen von Filmen, die Kühlung von Rechenzentren und die Nutzung von Cloudlösungen erhöhen den Strombedarf – nach aktuellen Studien jedes Jahr um 9 Prozent!  Auf diese Basis möchte der Staat mit neuen Heizsystemen, Wärmepumpen und E-Autos weitere Stromverbraucher draufsatteln. Und zukünftig kommt noch der Stromhunger der Künstlichen Intelligenz hinzu, an deren Integration in interne Prozesse und externe Kundenanwendungen nahezu kein Unternehmen vorbeikommen wird.

Auf der anderen Seite der Gleichung steht die Stromproduktion: Wie in einem unserer heute prämierten Beiträge im O-Ton zu hören ist, möchte das Wirtschaftsministerium den um voraussichtlich 50-60% höheren Strombedarf in Deutschland vor allem durch zusätzliche Wind- und Solaranlagen decken.  Dabei ist bekannt, dass diese Energie­quellen nicht grundlastfähig sind, einfach weil sie im Wortsinn „naturgemäß“ nicht 24 Stunden am Tag gleichmäßig Strom produzieren können. Es gibt nun einmal blaue und bedeckte Himmel, kürzere und längere Nächte und Schwankungen der Windstärke vom Sturm bis hin zur totalen Flaute.

Zweifel sind also angebracht, dass sich das politische Ideal einer CO2-freien „All Electric World“ in Reinform umsetzen lässt. Das sieht selbst der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller offensichtlich ähnlich. Denn für das künftige Stromnetzdesign schließt er eine Rationierung in Spitzenzeiten jedenfalls nicht aus.

Aber damit nicht genug, auch der von ihm aufgezeigte Lösungsvorschlag macht deutlich, auf wie wenig Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge die derzeitige Energiepolitik aufbaut: Die Industriefirmen könnten darin doch ein Geschäftsmodell sehen, indem Betriebe, die nicht von einem permanenten Stromzufluss abhängig sind, freiwillig vom Netz gehen und sich dies vergüten lassen.

Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wie weit kann sich die Politik und ihre Verwaltung noch von der Realität entfernen? Die Vernetzung innerbetrieblicher Produktionsstufen mit externen Liefer­beziehungen – ein Stichwort: just-in-time – erlauben schlichtweg kein „Mal-kurz-abschalten und Pause machen“. Dieser Ansatz hätte vielmehr - wenn er überhaupt technisch machbar wäre - gravierende negative Folgen für die Effizienz aller Wert­schöpfungs­stufen und somit für die Kosten- und Preisposition deutscher Produkte. Aber wenn schon die Liefertermine davon abhingen, wie oft die Hersteller und ihre Vorproduzenten die Produktion anhalten, wäre das vielleicht auch schon egal, weil einem die Kunden sowieso den Rücken zukehren.

Ich kann mir daher in der Realwirtschaft keinen Betriebsleiter vorstellen, der seine Fertigung für ein paar Förder-Euro unplanmäßig unterbricht. Das ist unrealistisch und lebensfremd. Viel wahrscheinlicher ist es, dass betroffene Industrien Deutschland den Rücken kehren, weil sie nicht an die Wirksamkeit der Maßnahmen ihrer Regierung glauben, die ihnen eine zuverlässige Energieversorgung zu akzeptablen Preisen verspricht. Und wenn man genau hinschaut, dann erkennt man hier wieder die Parallele zum einfachen Bürger, der sich eine Ölheizung kauft: Auch er hat möglicherweise Zweifel, dass er in Zukunft den notwendigen Strom für seine teure Wärmepumpe bekommt.

Viele Menschen ahnen es: Die Rechnung geht nicht auf! Was in dem grünen Zielszenario fehlt, sind Speicher­technologien für große Energiemengen - und dabei bedeutet „groß“: im Sinne des mehrwöchigen Bedarfs von ganzen Städten und Industriestandorten. Solche Technologien, inklusive eines grünen Wasserstoffkreislaufs, sind aber bis auf Weiteres nicht in Sicht. Und auf dem Weg dahin – so sei am Rande bemerkt - fehlen den Stromversorgungsnetzen auf jeder Spannungsebene die physikalischen Kapazitäten und digitalen Steuerungs­möglichkeiten, um die notwendigen Energiemengen in der Fläche zu verteilen und zur Verfügung zu stellen.

Mit dem Ergebnis, dass das System Stromversorgung in Deutschland Gefahr läuft, außer Balance zu geraten:  Sei es in Form hoher Kosten für Industrie und Bürger, Zwangs-Abschaltungen, überregionaler Stromausfälle - oder allem zusammen.

Warum steuern wir auf diese Situation zu? Ich glaube, weil die Politik derzeit immer öfter glaubt, alles besser zu wissen. Und weil der Glaube an die Eigenverantwortlichkeit in der Politik derzeit nicht mehr besonders hoch im Kurs steht. Bürgerinnen & Bürger und Unternehmen werden stattdessen zunehmend gegängelt, reguliert und bürokratisiert, und das immer kleinteiliger. Sei es Datenschutz, Lieferkette und Whistleblower, das sog. Verbrenner-Aus oder die Vorgabe einzelner technischer Lösungen für Wärmetechnik im privaten Keller – der regulatorische Druck auf Unternehmen und Bürger ist in den letzten Jahren enorm gestiegen.

Für Aufhorchen sollte daher die Rede von Frankreichs Staatspräsident Macron sorgen, in der er jüngst seinen Industrieplan vorgestellt hat. Denn er hat darin eine „Regulierungs­pause“ gefordert: Europa sei bei der Dekarbonisierung viel weiter als jede andere Volkswirtschaft und benötige daher erstmal wieder „Stabilität“. „Jetzt müssen wir umsetzen, sonst verlieren wir alle Akteure“, so der französische Präsident.

Anlass für diese Bemerkung waren für Präsident Macron sicherlich die Proteste der französischen Gelbwesten, aber auch die der kanadischen Trucker sind uns noch als mahnendes Beispiel in Erinnerung.

Und aufgrund der Art und Weise, wie staatliche Maßnahmen seit Längerem in Deutschland umgesetzt werden, sehe ich auch bei uns die Gefahr, dass wir selbst veränderungswillige Menschen auf dem Weg „verlieren“. Als Beispiel der Referenten­entwurf des Gebäudeenergiegesetzes: Wenn die Wärmepumpe allen Heizungs­technologien überlegen ist und sich mittelfristig rechnet (BM Habeck spricht von 18 Jahren…), warum gelten dann für Gebäude im Staatsbesitz geringere Auflagen, und für Immobilien der Bundeswehr gar keine? Und warum sagt Minister Lauterbach in diesem Zusammenhang, dass man nicht zulassen werde, „dass steigende Energie- und Heizkosten Krankenhäuser in ihrer Existenz gefährden". Da fragt sich der Hausbesitzer, Bürger und Wähler: Und was ist mit meiner Existenz? Und weil er keine guten Antworten auf diese Fragen bekommt, entscheidet er selbst, solange er noch kann – und stellt sich noch schnell neue „alte Kessel“ in den Keller.

Für die deutsche Industrie hat Frau Leibinger-Kammüller, Vorsitzende des Vorstands von Trumpf, kürzlich in einem Interview mit der F.A.Z. die Stimmung auf den Punkt gebracht, ich zitiere:

„Dass ausgerechnet der Staat (…) uns Unternehmen zunehmend sagt, in welche Richtung wir denken sollen, ist einfach absurd. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer, er hat für die Rahmenbedingungen zu sorgen.“

Eine glasklare Haltung, der sicher auch aus der Sicht vieler Bürgerinnen und Bürger nichts hinzuzufügen ist!

Die Politik sollte daher dringend im Sinne der Rahmensetzung über die Einführung einer sozial abgefederten CO2-Bepreisung nachdenken. Ottmar Edenhofer, Deutschlands bekanntester Klimaforscher, hat gerade noch einmal unterstrichen, dass, ich zitiere:

„Klimaschutz mit einem CO2-Preis günstiger (ist) als mit staatlichen Technologie­vorgaben oder gar Verboten.“

Denn ein CO2-Preis wäre ein marktwirtschaftlicher Ansatz, der jede CO2-Einsparung belohnt, aber die Wege dahin dem Wettbewerb überlässt. Einem kreativen Wettbewerb um Innovationen, um Effizienz und ja, auch um Wirtschaftlichkeit – denn diese entscheidet am Ende über die Belastung der Gesellschaft und damit über die Sozialverträglichkeit der Summe aller Lösungen.  

Der zweifellos notwendige Umbau der technologischen Grundlagen unserer Industrie­gesellschaft ist kein Spaziergang, selbst wenn man alles richtig machen würde. Es ist eine hochkomplexe Transformation: Wir müssen unsere Ressourcen schonender einsetzen, wir müssen in Kreisläufen denken und bei der Senkung der Klimaemissionen ganzheitlicher ansetzen.  Dazu gehört dann aber nicht nur das vorgeschriebene Elektroauto oder die Wärmepumpe. Sondern auch die im doppelten Sinne „nachhaltige“ Optimierung ganzer Wert­schöpfungs­ketten oder das Nachdenken über unpopuläre Technologien wie unterirdische CO2-Speicher. Denn wir benötigen einen Mix aus zukunftsfähigen Methoden und Instrumenten: Technologische Diversität muss daher auch in der Gestaltung von Zukunftslösungen die Richtschnur unseres Handelns sein.  Und sie kann es auch sein, denn die Stärke unserer Unternehmen sind Forschergeist und Agilität. Wenn wir die Bedingungen für Innovationen verbessern, warum sollte es uns dann nicht gelingen, das Klimathema technologiebasiert zu lösen?

Was es dafür jetzt neben der Entfernung von Scheuklappen und Denkverboten braucht, ist eine deutliche Beschleunigung von Planungsprozessen und Genehmigungen – der von Kanzler Scholz Anfang des Jahres geprägten Wortschöpfung der „Deutschland-Geschwindigkeit“ müssen daher schnell Taten folgen.  

Natürlich löst Technologie-Offenheit nicht auf einen Schlag alle unsere Klima-Probleme. Aber unsere mittel- und langfristigen Erfolgschancen wären meines Ermessens mit einem marktwirtschaftlichen Ansatz besser als mit dem auf Vorgaben und Verboten basierenden politischen Dirigismus.

Denn es kommt ein weiterer Punkt hinzu: Es würde nicht ohne politische Folgen bleiben, wenn eine von drei in der Mitte der Gesellschaft verankerten Parteien getragene Regierung den sozialen Frieden gefährdet, weil sie mit ihren Maßnahmen keine gesunde Balance zwischen Klimaschutz und der dafür notwendigen Lastenverteilung für Bürger und Unternehmen findet. Wenn wir aber die eingangs erwähnten „veränderungs­erschöpften“ Menschen verlieren, könnte bei der nächsten Wahl eine Partei gestärkt werden, die mit Klimapolitik überhaupt nichts am Hut hat, weil sie – sei es als Überzeugungstäter oder als „Polarisierungs­unternehmer“ – den Klimawandel als Fiktion bezeichnet und sich den Wählern als politische Alternative zur Überregulierung anbietet.

Auch um dieses zu vermeiden, wäre ein CO2-Preis der richtige Weg. Denn derzeit streiten Parteien und Gesellschaft ja bei jeder Maßnahme nicht nur über ein „zu früh oder zu spät“, über ein „zu viel oder zu wenig“, sondern über ein „richtig oder falsch“ - und dies teils mit drastischen Worten und Taten. Ein CO2-Preis hingegen würde, wie die Süddeutsche Zeitung jüngst formulierte:

„…aus einem moralischen ein kühles ökonomisches Kalkül (zu) machen“, und „könnte dem Kulturkampf um das Klima den Boden entziehen.“

Der Kampf gegen den Klimawandel kann nur dann erfolgreich sein, wenn er global geführt wird.  Da Deutschland allein aber nur für 2% des globalen Ausstoßes an CO2 verantwortlich ist, muss Deutschlands klimapolitischer Ansatz der berühmte „Export­schlager“ werden, um relevant zu sein. Aber um anderen Ländern als nachahmens­wertes Beispiel zu dienen, müssen wir in vielen Dimensionen erfolgreich sein: Natürlich bei der Nachhaltigkeit, die allein viele Facetten hat. Aber auch in Bezug auf den Fort­bestand als Industriestandort, die Zahl der Arbeitsplätze, den sozialen Frieden und politischer Stabilität. Wenn wir nur bei der Nachhaltigkeit die Ersten sind, aber an den anderen Dimensionen scheitern, ist unser Land, wie wir es kennen, am Ende. Und für das Klima wäre (fast) nichts gewonnen, weil wir zwar unsere deutsche Klimabilanz optimiert haben, uns aber niemand auf unserem Weg folgt.

Deshalb halte ich es für dringend notwendig, dass der deutsche Weg in allen Dimensionen erfolgreich ist. Und dafür ist ein größeres Vertrauen der Politik in die Menschen, in die Unternehmer und allgemein in die Kraft der freien Marktwirtschaft erforderlich. Wir werden die vielen Heraus­forderungen der Zukunft nur dann bewältigen, wenn die Politik keine Lösungen vorgibt, sondern nur Leitplanken festlegt, innerhalb derer sie Unternehmerinnen und Unternehmern Freiraum für Gestaltung und Eigenverantwortung gibt!